Nobody Wants the Night, ES/FR/BG 2015 • 118 Min • Regie: Isabel Coixet • Mit: Juliette Binoche, Rinko Kikuchi, Gabriel Byrne, Matt Salinger • FSK: n.n.b. • Kinostart: n.n.b.
„Mein erster Bär, mein erster Bär!“, jubelt Josephine (Juliette Binoche) im ersten Satz des Eröffnungsfilms. Hofft Regisseurin Isabel Coixet, das kommt bei der Jury an? Subtilität liegt jedenfalls ihrem theatralischen Wildnisdrama nicht. Miguel Barros’ Drehbuch basiert „auf realen Charakteren“, aber wie die spanische Regisseurin auf der Pressekonferenz erklärt: „This is not a story“. Solide Kinounterhaltung ist es trotz der verheißungsvollen Prämisse noch weniger.
Dass Coixet gleich der Hauptfigur, die in der Eingangsszene einen Eisbären schießt, auf der Berlinale einen Goldenen Bären erlegen kann, ist unwahrscheinlich. Das Wettrennen um den Pol geht im Handlungsjahr 1908 in die heiße Phase, aber im äußersten Nordcamp, wo die gealterte Gesellschaftsdame Josephine Peary ihres mutigen Mannes Robert harrt, ist es arschkalt. Josephines Problem, das sie mit einer von der Regisseurin jovial geteilten kolonialistischen Arroganz zu dem der Arbeiter, ist, dass sie nicht wie eine brave Hausfrau abwartet und Tee trinkt. Abgeschnitten von jeder Versorgung in einem klapperigen Außenstützpunkt, wird sie nochmal vom Teetrinken träumen, aber jetzt macht sie es wie der Esel: wenn’s ihm zu gut geht, geht er auf’s Eis. Begleitet vom misanthropischen Bram (Gabriel Byrne) und Inuit Ninq (Orto Ignatiussen) reist sie dem Gatten entgegen. Dass es sich im Packeis nicht so gemütlich wie auf der New Yorker Central Station wartet, dämmert ihr zu spät. Ihre angesichts des heranrückenden Winters hirnrissige Aktion soll als die Unerschrockenheit einer starken Frauenfigur erscheinen. Tatsächlich bestätigen die eindimensionalen Figurenzeichnungen das reaktionäre Frauenbild der Empire-Ära. Wenn Barros schonmal dabei ist, verbrämt er obendrein die vermeintlichen Verdienste des Kolonialzeitalters: egomanischen Territorialismus und pseudo-zivilisierte Bigotterie.
Männer riskieren ihr Leben auf Expeditionen zu Erdpolen, die wie es dräuend heißt „terra incognita“ sind, alles für Ruhm und Ehre. Frauen riskieren ihr Leben und zu das anderer auf Expeditionen zu ihren Ehemännern, alles aus Liebe und Dummheit. „Ich muss dort sein, nah bei ihm, denn er kommt nie zurück!“, jammert die verwöhnte Society-Lady. Hat man die Männer nicht ständig im Auge, machen sie mit irgendeiner hübschen Inuit „einen Welpen“. So tat es Mr. Peary mit der jungen Allaka (wundervoll: Rinko Kikuchi), die ebenso stur seiner Rückkehr entgegensieht. Stattdessen steht der Winter vor der Tür und platzt schließlich in Form eines Schneesturms herein. Fortan ist Sense mit den kulturellen Errungenschaften, die die unsympathische Heldin in die verschneite Pampa schleppt. Was wäre ein Arktis-Ausflug ohne Porzellan, Grammophon und das gute Tafelsilber! Ohne die würde es im verschneiten Häuschen nie so gemütlich, wie der allwissende Erzähler berichtet: „Dort, in dieser schmutzigen Baracke fühlte sie sich ihm näher als in all der Intimität unter den weichen Leinenlaken ihres Heims in Washington D.C.“ Nach anfänglichem Zickenkrieg kommen Allaka und Josephine sich beim Bewundern von Designermode näher.
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Dummerweise ist die Jagd nach Nahrung beschwerlicher als die nach Schlussverkauf-Schnäppchen. Trotzdem hat die Hauptfigur in finsterster Polarnacht im Iglu Sorgen wie in einem Beautysalon in der von ihr gern erinnerten Park Avenue: „Meine Fingernägel!“ Kreisch! Leider ist sie historisch zu früh dran für eine Gel-Maniküre. Mit solchen Krallen hätte sie sich prima aus dem Schnee schaufeln können, so krabbelt sie durch die Iglo-Decke, während das Baby aus Allakas Bauch krabbelt. Was für eine tiefgründige Metapher, noch dazu mit der Aufnahme der Milchstraße am Himmel! Dorthin richten sich auch die Gedanken des Sprechers, als die Protagonistin von Pearys Assistenten Henson (Clarence Smith als erster Schwarzen am Pol) errettet wird: „Kann irgendein Dach ihre Leere bedecken?“ Auf die geistige Leere der larmoyanten Liebes-Leidensgeschichte bezogen: nein. Egal wie viele Kollegen den gleichen Kalauer benutzen, ich schreibe ihn trotzdem: Nobody wants this film!
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