
Wie bereits angekündigt gab es an meinem 2. Tag auf dem Filmfest Hamburg 2016 mehr zu sehen, als die im Ankunftsstress mitgenommenen Elle und Per Song. Während ich im nächtlichen Hamburg vor der Tastatur sitze, an meinem Wasser nippe und textlich zerstörte Träume, politische Debatten, naturalistische Selbstfindungsreisen und ein finsteres Kapitel in der Geschichte von Colorado reflektiere, befinde ich mich zeitlich schon in Tag 3 des Festivals. Nebenbei fühle ich mich wie in einer ganz bestimmten Folge von "Breaking Bad" – eine Fliege nervt mich. Doch zurück zu den Filmen:
Tag 2

Diamant Noir ist in seinen besten Momenten aufgeladen mit kitzelnder Spannung, in seinen Heist-Planungen clever mit spielerischen POV-Aufnahmen aufgezogen und im Finale überaus konsequent, versinkt aber oft im erzählerischen Treibsand aus Exposition, fehlendem Gefühl für Schwerpunktsetzung innerhalb der Handlung und klischeebehafteten Charakteren. Die selbstzerstörerische Natur seiner Figuren setzt glücklicherweise mehrere Male Adrenalinspritzen, wenn der Puls des Films schon fast nicht mehr zu spüren ist. August Diehls Performance schwankt zwischen gebrochenem manisch Depressiven und überzogen dämonischem Kapitalistenschwein, Buillaume Verdier steuert seinen Hauptcharakter zunehmend in ausweglose Panik. Am Ende ist der wertvolle Stein mehr wert als Menschenleben und sein mordender Beschützer der falsche Held. 2,5/5
The Sociologist And The Bear Cub

The Sociologist And The Bear Cub funktioniert dabei als unterhaltsamer und aufklärender Lehrfilm. Mal verbindet Théry die Geschehnisse mit persönlichen Anekdoten, mal bettet er es in satirische Seitenhiebe, im Endeffekt wird jedoch nur ein nüchterner, faktenbezogener Diskurs leicht bekömmlich gemacht. In seinem Film wolle er auch mit möglichst wenigen Fachbegriffen um sich werfen, erzählt Mathias seiner Mutter zu Beginn des Films sogar. Am Ende ist der Sieg da, die Botschaft herausgetragen, man fragt sich, in welchem Jahrhundert Deutschland eigentlich hängengeblieben ist und die Demonstrationen der Hass und Einschränkung Propagierenden wirken wie ein Kasperletheater. 3/5

Die Natur ist rau, hart und brutal. Die Wellen tosen, die Orchideen leuchten gefährlich und auffällig rot in der grünen Waldkulisse, doch es sind die Menschen, die Fernando fesseln und kastrieren wollen, während der Jesus der Natur im splitternackten Adamskostüm Nahrung und Zärtlichkeit zu geben hat. Auch die hölzernen Dialoge und Paul Hamys monotones Schauspiel können The Ornithologist nicht um seine Atmosphäre bringen. Nur manchmal droht sie, in sich selbst zusammenzufallen, wenn Rodrigues seinen impressionistischen Bildern durch unnötige Zusätze noch mehr Mystik aufzudrängen. 3,5/5

Unterdrückte Panik brodelt in jedem einzelnen Charakter. Einer von ihnen wird am Abend Amok laufen, alle sind sie Menschen und alle scheinen sie jeden Augenblick explodieren zu können. Beklemmender Soundtrack, brutale Geräuschkulisse und verstörendes Unwohlsein in jeder Einstellung ergeben eine lähmende Symbiose. Wo Gus van Sants Film über den Columbine-Amoklauf durch Stereotypen ein Kommentar auf die kollektive Suche nach Antworten bildete, ergibt sich aus den amerikanischen Archetypen in Dark Night ein zeitgenössisches Gesellschaftsporträt aus Abgründen. "It’s observational not judgemental." 4/5
An Tag 3 wird es voraussichtlich wieder ein Film weniger sein, denn auch ein kurzer Lav-Diaz-Film geht eben mal knappe 4 Stunden. Der Kaffee wird gegen die Müdigkeit antreten und der eiserne Wille gegen die Blase.
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