
Die Mittellinie ist überquert! Es liegen jetzt mehr Tage und Filme des Festivals hinter mir als vor mir. Das ist auch gut so, denn leichte Ermüdungserscheinungen schleichen sich wieder ein (man wird ja auch nicht jünger!). Auch im dritten Jahr des verlängerten Fantasy Filmfests, bleibe ich der Meinung, dass acht Tage die perfekte Laufzeit des Festivals darstellten. Natürlich bringt die längere Laufzeit mit nur einer Filmschiene unwiderlegbare Vorteile mit sich, denn so kann man wirklich jeden Film mitnehmen (wovon insbesondere Dauerkarten-Inhaber profitieren) und muss keine schwierigen Entscheidungen mehr treffen. Doch obwohl es vielleicht nicht danach klingt, ist es doch anstrengend, elf Tage im Kino zu verbringen, auch wenn es sich um ein Luxus-Lichtspielhaus wie die Residenz Astor Film Lounge in Köln handelt.
Natürlich kann man einen vollen Filmtag beim Festival deutlich besser durchstehen, wenn es gute Filme zu sehen gibt, und am Vortag hatte ich in dieser Hinsicht viel Glück. An meinem zweiten 5-Filme-Tag in Folge war die Ausbeute deutlich wechselhafter. Obwohl es keinen von vorne bis hinten grottigen Film à la Follow zu sehen gab, fehlten trotz fünf sehr unterschiedlicher Beiträge diesmal die richtigen Highlights, auch wenn ich den einen oder anderen der gesehenen Filme durchaus weiterempfehlen würde. Etwas kurios fand ich außerdem die Tatsache, dass der erste Film des Tages, der spanischer Gangsterstreifen Toro, bereits bei Netflix Deutschland abrufbar ist.
Neben Toro standen an meinem 6. Tag auch der Grusler Havenhurst, der Menschenjäger-Film Desierto, die Abrechnung mit dem Reality-TV Scare Campaign und der The-Crazies-Verschnitt Don’t Grow Up auf dem Programm. Unten findet Ihr die Kurzkritiken zu allen fünf Filmen.
Tag 6

Nach seinem intelligenten Science-Fiction-Drama Eva, das vor einigen Jahren ebenfalls mit Fantasy Filmfest in der Fresh-Blood-Rubrik lief, wird es für den Regisseur Kike Maíllo in seiner zweiten Regiearbeit deutlich bodenständiger. Er nimmt sich eins der klassischsten Filmgenres überhaupt vor, den Gangsterfilm. Dabei huldigt er einerseits den klassischen Genre-Elementen, die wir aus dem US-Kino kennen, verankert seinen Film aber unverkennbar im andalusischen Setting. Die sonnigen Küsten werden in den Film integriert und bestimmen seine Atmosphäre ebenso sehr wie der strenge Katholizismus der Region, der sich im fast schon fanatisch religiösen Verhalten von Romero widerspiegelt. Das Radio informiert uns zudem ständig im Film über den Zuwachs von Tourismus in Andalusien, während die Zuschauer zugleich im Kontrast eine brutale Welt kennenlernen, die den Touristen verborgen bleibt.
Blut, Schmerz, Verrat, Schuld und Sühne sind die Hauptzutaten dieses rasanten Films. Casar ist sympathisch als Protagonist, auch wenn es schwer fällt, zu glauben, dass er für seinen Bruder, der ihm bislang nichts als Ärger einbrachte, immer wieder den Kopf hinhält. López macht es niemandem leicht, mit ihm mitzufühlen, doch zum Glück sind ambivalente Charaktere die Spezialität von Luis Tosar, der trotz der zahlreichen Verfehlungen seiner Figur, seiner Liebe zu seiner Tochter spürbar werden lässt. Die Darbietung des spanischen Schauspielveterans José Sacristán als Gangsterboss alter Schule mit einer perfiden Mordwaffe und einem kranken Fetisch für Augäpfel ist ebenfalls großartig. Man zweifelt keine Sekunde daran, welch große Gefahr von diesem alten Mann ausgeht, dem die vielen Jahre in seinem grausamen Geschäft ins Gesicht geschrieben stehen. Durch ihn punktet der Film auch mit einigen wirklich unerwartet fiesen Einlagen.
Toro ist ein klarer Männerfilm, in dem alle Frauenfiguren zu kurz kommen, was insbesondere im Falle von Jonsson, die letztes Jahr im FFF-Beitrag Sweet Home die Hauptrolle spielte, schade ist. Doch es ist nicht das, was Toro davon abhält, ganz großes Gangsterkino zu sein, sondern die zunehmende Unglaubwürdigkeit diverser Szenarien, wenn Toro beispielsweise mit Romeros Security aufräumt als würde Jason Statham gegen eine Grundschulklasse antreten. Auch das große Finale ist einfach zu "sauber" konstruiert, um sich noch irgendwie organisch anzufühlen. Wer sich einfach von einem grundsoliden, actionreichen und optisch sehr stylischen Gangsterfilm unterhalten lassen möchte, wird bei Toro auf seine Kosten kommen. 3,5/5

Nach der giftigen Oma in Trash Fire ist Flanagan als kaltblütige Vermieterin wieder einmal ein wahrer Genuss, jedoch eindeutig nicht genug, um diesen Film irgendjemandem zu empfehlen. Hier wird jedes erdenkliche Horrorfilm-Klischee völlig ironiefrei sklavisch abgearbeitet. Züchtige Duschszenen, in denen der nackte Rücken der Hauptdarstellerin präsentiert wird, bis sie dann in ein Badetuch umhüllt einem seltsamen Geräusch nachgeht? Check. Der einzige Charakter mit einer Sexszene wird kurz darauf mit dem Tod bestraft? Check. Die Hauptfigur verarbeitet ein vergangenes Trauma? Check. Ein finster dreinblickender Hausmeister? Check. Ein Albino-Bösewicht, der so aussieht, als wäre er lieber im Cast von Mad Max und der langsamen Schrittes auf seine rennenden Opfer zugeht und sie dennoch immer einholt? Check, check, check! Sicherlich wird Havenhurst alleine durch die Namen Danielle Harris und Julie Benz viele Genrefans anlocken, doch davon ist wirklich abzuraten. Harris' Auftritt beschränkt sich, trotz prominenter Nennung im Vorspann und im Marketing, auf etwa eine Minute und wer Julie Benz wirklich mag, ist besser damit bedient, sich die ersten Staffeln von "Dexter" noch einmal anzuschauen als diesen uninspirierten, dämlichen Grusler. Einige clevere Ideen beim Design der Räumlichkeiten und ein kleiner netter Twist am Ende entschädigen nicht dafür, dass Havenhurst, genau so wie die meisten seiner Darsteller, auf Autopilot läuft. 1,5/5

Bis auf die düstere Vision der Selbstjustiz von US-Bürgern an illegalen Einwanderern, bleibt Desierto unpolitisch und legt stattdessen den Schwerpunkt auf das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Morgans Jäger und den Überlebenden seines Erstangriffs, die er mit seinem treuen Hund verfolgt. Nach einem wirklich starken Einstieg verläuft der Rest des Films in gewohnten Bahnen. Sowohl Gael García Bernal als auch Jeffrey Dean Morgan holen schauspielerisch das Beste aus ihren eintönigen, unterentwickelten Charakteren heraus, während das Drehbuch die Geschichte auf ihre absolute Essenz reduziert, dabei aber besonders gegen Ende die wichtigste Zutat vergisst: Spannung. Auch die Glaubwürdigkeit leidet zunehmend, wenn Morgans Charakter beispielsweise mehr Whiskey (aber kein Wasser trotz Hitze!) in sich kippt als ein 16-Jähriger in einer All-You-Can-Drink-Bar und dabei immer noch so treffsicher ist wie Bradley Cooper in American Sniper. Der jüngere Cuarón hat auf jeden Fall das Eine oder Andere bei seinem Vater gelernt, was einprägsame Einstellungen oder die Nutzung des Settings als eigener Charakter angeht, doch hoffentlich setzt er diese Talente nächstes Mal bei einem besseren Drehbuch ein. 3/5

Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden, denn falls jemand die Twists des Films nicht schnell erahnt, dem soll der Spaß nicht verdorben werden. Es reicht zu sagen, dass der neuste Film des 100-Blooody-Acres-Regieduos Cameron und Colin Cairnes trotz seiner Vorhersehbarkeit ungemein viel Spaß macht. Sehr flott inszeniert, mal lustig, mal überraschend hart und splattrig und gelegentlich sogar unheimlich, ist Scare Campaign maßgeschneidert für Genrefans und versteckt auch nicht die Liebe der Macher für das Genre. Wenn er doch nur etwas weniger bemüht wäre und sein Finale nach einem weiteren Twist nicht so schnell runtergespult hätte, wäre Scare Campaign der klare Anwärter auf einen der besten dieses FFF-Jahrgangs. Auch so bleibt er, vor allem für Horror-Aficionados, sehenswert. 3,5/5

Das ist die zentrale Frage des Films, der zu gleichen Teilen ein Coming-of-Age-Drama, eine Teenie-Romanze und eine Mischung aus Romeros The Crazies und einer umgedrehten Version von The Children darstellt, in der anstelle der Kinder die Erwachsenen durchdrehen. Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es nicht, sie bleibt der Interpretation überlassen. Der Film ist eine Allegorie auf die Ängste und Unsicherheiten, die mit mit dem Übergang vom Kind zum Erwachsenen verbunden sind, bleibt in dieser Hinsicht aber recht oberflächlich. Don’t Grow Up möchte Vieles sein, schafft es jedoch durch seine knappe Laufzeit von etwa 80 Minuten zwar mehrere Themen anzuschneiden, setzt sich aber mit keinem länger auseinander. Die jungen Schauspieler machen ihre Sache gut, allen voran Fegrus Riordan als grüblerisches Bastian und Madeleine Kelly als die für ihn schwärmende Pearl. Die beiden haben eine gute Chemie miteinander, doch wenn der Film in der zweiten Hälfte sein Horrorszenario beiseite schiebt und sich stattdessen auf die Beziehung der beiden fokussiert, kommt er zum erzählerischen Stillstand. Die Szenen mit den durchgeknallten Erwachsenen sind intensiv und manchmal überraschend hart, jedoch leider rar gesät. Es ist lobenswert, dass der Film sich anfangs Zeit mit dem Aufbauen seiner Figuren nimmt, doch es wäre besser gewesen, wenn er die Spannung hoch gehalten hätte, nachdem er endlich in Fahrt kommt, anstatt sie immer wieder zu unterbrechen. Don’t Grow Up ist gut gemeint, aber leider unausgegoren. 2,5/5
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Mit mehr als der Hälfte der Filme hinter mir, gehe ich so langsam in die Zielgerade und nach zwei wirklich anstrengenden Tagen wird es zunächst einmal wieder etwas ruhiger. In der nächsten Ausgabe meines Fantasy Filmfest Tagebuchs, erwarten Euch Rezensionen zu zwei sehr unterschiedlichen Filmen – Night of the Living Deb, einer liebenswerten Romcom mit Zombies, und The Crew, einem actionreichen Heist-Thriller aus Frankreich, in dem uns unsere gallischen Nachbarn vermutlich wieder einmal vorführen, wozu das deutsche Kino scheinbar nicht in der Lage ist.
Bisherige Ausgaben:
Tag 1 (Swiss Army Man, Carnage Park)
Tag 2 (The Ones Below, Deep in the Wood, Abattoir, Yoga Hosers, Trash Fire)
Tag 3 (Psycho Raman, The Girl with all the Gifts)
Tag 4 (Antibirth, Here Alone, Imperium)
Tag 5 (Kidnap Capital, Happy Birthday, The Devil’s Candy, The Eyes of My Mother, Follow)








