The Act of Killing (2012)

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The Act of Killing (2013) Filmkritik

The Act of Killing, DK/GB/NO 2012 • 122 Min • Regie: Joshua Oppenheimer •  Mit: Anwar Congo, Haji Anif, Syamsul Aryfin, Herman Koto • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 14.11.2013Internationale Webseite

Werbe-Platzhalter. Von irgendwas müssen wir auch leben ;-)

Indonesien Mitte der 60er Jahre – Von der indonesischen Regierung als unbequem empfundene  gesellschaftliche Gruppierungen – wie Liberale, Intellektuelle oder ethnische Chinesen – werden verfolgt, vertrieben, enteignet, erpresst und ermordet. Die Legitimation für dieses Vorgehen speist sich aus dem beinah „globalen“ Konsens aus Ost-West-Konflikten und der damit einhergehenden Stigmatisierung solcher Menschengruppen als Kommunisten. Kommunisten sind unerwünscht und dürfen aus einem quasi-Naturrecht heraus bekämpft werden. Die Regierung bediente sich der Hilfe freier Mitarbeiter wie z. B. Paramilitärs oder eben Gangstern. Fast 50 Jahre danach, bringt Joshua Oppenheimer die damaligen Schlächter und ausführenden Henker vor die Kamera. Nach wie vor ungesühnt plaudern die Halunken frei und unverblümt aus dem Nähkästchen, nämlich darüber, was sie damals alles im „Regierungsauftrag“ an der Menschlichkeit verbrecherisch vollführt haben.

The Act of Killing (2013) Filmbild 1Der Zuschauer lernt einen adrett und farbenfroh gekleideten Mann mit Panamahut und gepflegtem Äußerem kennen. Er sieht aus, als käme er gerade von seinem Gig mit dem „Buena Vista Social Club“ zurück, solch einen vermeintlichen Charme eines älteren Gentleman strahlt er aus. Sein Name ist Anwar Congo und er steht im Mittelpunkt von Oppenheimers Dokumentation; der Kopf der „Kinogangster“-Bande. Joshua Oppenheimer folgt ihm und seinen heutigen wie damaligen Weggefährten und verharrt meistens im Hintergrund, verzichtet weitestgehend auf Nachfragen und lässt seine Beobachtungsobjekte selbst erzählen. Gerade diese wertneutrale und passive Rolle des Regisseurs ist der Wegbereiter für eine enorme Wucht an „beiläufiger“ Gewalt. Mit Hilfe einer Finte, die Protagnisten zu bitten, ihre Gräueltaten, welche sie selbst als Heldentaten verstehen, in einer beliebig gearteten Form nachzustellen (Mafiafilm, Musical, Musikvideo…), offenbart sich ein riesiger, klaffender Abgrund in menschlicher Niederträchtigkeit und Bösartigkeit – so nonchalant, lapidar und flapsig geschildert wie ein schlechter Anti-Witz.

The Act of Killing (2013) Filmbild 2Anwar Congo und seine Crew sehen sich als Gangster wie in einem der Filme ihres Stammkinos, woher sie auch die Inspiration für ihre Verhör- und Tötungstechniken nehmen.  Gangster bedeutet für sie „freier Mann“ und im Sinne der Freiheit töten sie ebenso frank und frei als kriminelle Vereinigung Kommunisten, um Indonesien einen Gefallen zu tun. Mit vor Stolz geschwellter Brust und unverhohlener Prahlerei feiern sich die einstigen Mörder selbst und beginnen, kleine Filme über ihr Lebenswerk zu drehen. Dafür fordern sie beispielsweise die Bewohner eines Dorfes dazu auf, so zu tun, als würde man ihr Dorf gleich niederbrennen und zwischendurch Frauen vergewaltigen. Drehstart: Zum Teil steht den Bewohnern wirklich Angst und Schrecken ins Gesicht geschrieben, weil einige den willkürlichen Terror miterlebt haben oder sowohl aus Großstadtlegenden als auch aus ihren Familiengeschichten kennen. Selbst nach dem Schnitt und während der Drehpausen weinen nicht nur die Kinder weiter, sondern es müssen auch Erwachsenen aus dem Schockzustand zurückgeholt werden. Dies zeigt, wie viel Nachholbedarf Indonesien und seine Bevölkerung ob dieses totgeschwiegenen Horrors zu leisten hat. Es scheint aber nach wie vor eine stille Übereinkunft mit dem größten paramilitärischen Verband Pancasila-Jugend (Pancasila: Die fünf [philosophischen] Prinzipien der Staatsgründung Indonesiens) und der indonesischen Regierung zu geben, da der Minister für Sport und Jugend den Drehort im Dorf besucht, um alle Beteiligten anzufeuern. Teilweise unbeholfen drauf los faselnd, behauptet der Minister im gleichen Atemzug, dass man gerade „viel zu grausam“ rüberkommt, obschon Kommunismus bekämpft werden muss, dann aber auf menschlichere Art und Weise, schlussendlich eben doch bis zum letzten Mann ausgemerzt werden soll. Bei manchen Aussagen fängt man als Zuschauer zwangsläufig an zu lachen, weil sich alles hanebüchen zurechtgebogen und schöngeredet wird – auf absurdeste und surreale Weise. „The Act of Killing“ erscheint partiell wie eine zynisch-bösartige Satire. Es jagt einem kalte Schauer den Rücken hinunter und gleichzeitig ist man geneigt, die Hand am liebsten sofort vor den lachenden Mund zu schlagen. Wie Sacha Baron Cohens „Der Diktator“ – nur in echt.

The Act of Killing (2013) Filmbild 3Funktionäre der Pancasila, Mr. Congo und Schergen treten zwischendurch wie lückenfüllende Dschungelcamp-VIPs in Talkrunden des Staatsfernsehens auf und wahren schelmisch und kokettierend den verhüllenden Schleier der Verdrängung um die Säuberungsaktionen. Angekündigt werden die Gangster mit den Worten, sich hervorgetan zu haben, indem sie bei der „Ausrottung“ („exterminate“ – oft in Verbindung mit Ungeziefer) der Kommunisten effektivere, weniger sadistischere und auf überbordende Gewalt verzichtende Systeme entwickelt zu haben – ein Oxymoron in sich.  Auf die Frage hin, warum und weshalb diese Aktionen bis zur letzten Konsequenz ausgeführt wurden, wird mit einem kecken „Gott hasst Kommunisten“ aus Congos Mund geantwortet. Gezwungenes Lachen der Moderatorin. Debil grinsend feiernde Paramilitärs. Bestellter Applaus im Publikum. Ein weiterer Beweis für die Versäumnisse von Jahrzehnten.

Sogar die abgebrühtesten Killer werden von ihren Dämonen heimgesucht, allerdings haben die vorgeführten Jungs aus Indonesien sehr funktionale Mechanismen der Ausblendung entwickelt. Von Zeit zu Zeit wird Congo jedoch von seinen „Geistern“ in der Nacht mit dem Resultat eingeholt, dass er unruhig wach liegt. Gegen Ende der Dokumentation unterwirft sich Congo persönlich der Opferrolle in einer der zahlreich nachgestellten Tötungsszenarien. Auf einmal bricht er den Dreh ab und später bei dem Besuch eines Hinterhofs – Mördergrube vieler erdrosselter Menschen- fängt er an zu Würgen und sein Magen krampft. Diese Szene geht tief unter die Haut, weil es einen Menschen zeigt, der endlich zum aller ersten Mal einen kleinen Schritt auf den Pfad der Selbstreflexion und des Erkenntnisgewinns setzt. Von Mitleid für den ehemaligen Anführer einer Todesschwadron seitens der Zuschauer: keine Spur.

Noch heute sticheln die altgediegenen Killer die Bevölkerung und ergaunern sich durch Einschüchterung, Erpressung und Schutzgeld einen Lebensunterhalt. Wann wird diesem Treiben ein Riegel vorgeschoben? Warum wurden diese Gräueltaten nicht bestraft? Antworten liefern die Mörder selbst: Wenn es falsch gewesen wäre, hätte es eine Strafe gegeben und was genau als ein Kriegsverbrechen gilt, wird von den Gewinnern definiert. Unsere Kino-Gangster sind die klaren Gewinner in dieser Farce der verschlafenen Gerichtsbarkeit. Die naive, von jeglicher Reue befreite Bosheit lässt die Menschen in dieser Oscar-würdigen Dokumentation unverblümt vor die Linse treten und frappierend an dem Ruf Indonesiens kratzen. Freifahrtschein und Rückendeckung gibt es selbstredend von der Regierung persönlich, die sich offiziell auf einschlägige Werte wie Demokratie oder soziale Gerechtigkeit beruft: „We need our gangsters.“ Unbedingt sehenswert!

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