Schneemann (2017) Kritik

0
Schneemann (2017) Frontbild

The Snowman, GB/S/USA 2017 • 119 Min • Regie: Tomas Alfredson • Drehbuch: Hossein Amini, Peter Straughan, Søren Sveistrup • Mit: Michael Fassbender, Rebecca Ferguson, J.K. Simmons, Charlotte Gainsbourg, Jonas Karlsson, David Dencik, Val Kilmer, Chloë Sevigny • Kamera: Dion Beebe • Musik: Marco Beltrami • FSK: ab 16 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 19.10.2017 • Deutsche Website

Erinnert sich noch jemand an die Band Hot Butter und deren Hit „Popcorn“ von 1972? In Tomas Alfredsons Jo-Nesbø-Adaption „Schneemann“ gibt es das markante Synthie-Stück gleich zweimal auf die Ohren – man achte in diesem Zusammenhang bitte einmal genau auf den Verlauf der zweiten Szene, in der die Klänge ertönen. Zumindest ich musste an dieser Stelle breit grinsen. Es ist nicht der einzige Moment in der eiskalten Serienkiller-Hatz, in der der preisgekrönte Regisseur von „So finster die Nacht“ und „Dame König As Spion“ mit subtilem bis pechschwarzem Humor kokettiert. Doch leider kann dieser sympathisch-absurde Ansatz nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass ihm das Werk letztlich leider ziemlich aus der erzählerischen Bahn geglitten ist. Der siebte Fall des populären Romanhelden Harry Hole (den Kalauer mit dessen Namen spare ich mir an dieser Stelle) sollte als packender Auftakt für den smarten Ermittler im Kinoformat herhalten, wobei die Story durchaus spannend anmutet und das erste Drittel des Films auch noch recht vielversprechend umgesetzt ist. Im Verlauf häufen sich allerdings die Probleme massiv und es wird ziemlich deutlich, dass diese Produktion irgendwann in arge Turbulenzen geraten sein muss.

Schneemann (2017) Bild 1

Die Geschichte beginnt in der Vergangenheit, in einem abgelegenen Haus inmitten einer verschneiten Landschaft. Die Bewohner sind eine Frau und ihr Sohn, die unerwartet Besuch von einem sogenannten „Onkel“ bekommen. Dieser benimmt sich dem Kind gegenüber wie ein autoritärer Vater, indem er es hart mit Wissensfragen löchert – für jede falsche Antwort bekommt die Mutter einen brutalen Schlag ins Gesicht verpasst. Als der Junge die beiden schließlich beim Sex beobachtet, erfährt er, dass der vermeintliche „Onkel“ in Wahrheit sein leiblicher Erzeuger ist. Die Situation eskaliert und mündet in einer Tragödie. Wir verlassen das Szenario und lernen im gegenwärtigen Oslo Harry Hole (Michael Fassbender) kennen, der den akuten Mangel an neuen Mordfällen mit gründlichen Ermittlungen am Boden seiner Wodka-Flasche überbrückt. Doch Hole hat Glück, denn zeitgleich mit dem Eintreffen der neuen Kollegin Katrine Bratt (Rebecca Ferguson) kommt es zu dem mysteriösen Verschwinden einer Mutter, zu deren Fall sich in kürzester Zeit ein weiterer gesellt. Der abgetrennte Kopf der einen Frau wird schließlich auf dem Körper eines Schneemanns aufgefunden. Bratt konfrontiert ihr geniales Gegenüber, das unlängst offenbar von dem Täter schriftlich kontaktiert worden ist, mit einigen früheren Fällen, die sich im nahen Bergen zugetragen haben und ebenfalls mit vermissten Müttern, verstümmelten Leichen und Schneemännern am Tatort zu tun haben …

Schneemann (2017) Bild 2

„Schneemann“, der vorab mit seinem enorm dichten Trailer großes Interesse geweckt hat, entpuppt sich rasch als reichlich zerfahrene Angelegenheit. Hölzerne Charaktere, diverse Subplots, die sich nie wirklich homogen in das Bild einfügen wollen, und ein zackiger Schnitt von Oscar-Preisträgerin Thelma Schoonmaker („Departed – Unter Feinden“), der mit aller Mühe versucht, offensichtliche Story-Lücken zu kaschieren, dominieren den Gruselthriller. Inzwischen hat sich der Regisseur nach den vernichtenden Kritiken gegenüber dem NRK (dem Norwegischen Rundfunk) zu Wort gemeldet und das Hauptproblem auf den Tisch gelegt: Etwa 10 bis 15 Prozent des Skripts von Peter Straughan, Hossein Amini und Søren Sveistrup konnten aus Zeitgründen nicht abgedreht werden, was recht nachvollziehbar das irritierende Resultat erklärt. Entschuldigen sollte das aber nicht die Tatsache, dass man den Zuschauern hier ein deutlich unfertiges Produkt als stargespicktes Event-Kino verkaufen will. Warum man nicht einfach weitere Nachdrehs angeordnet hat und weshalb verschiedene Szenen aus dem Trailer im Film nicht zu finden sind, bleibt ein Rätsel. Somit liegt ein bitter enttäuschendes Ergebnis vor, das aber trotz – oder möglicherweise wegen – seiner Sprunghaftigkeit (die unklaren Zeitebenen sorgen für ordentlich Konfusion) auch nie wirklich langweilt. Das Interesse an der Identität des Täters geht in dem Durcheinander jedoch letztlich verloren und der angedachte Klimax entpuppt sich als unfreiwillig komischer Antiklimax in bester Slasher-Tradition.

Schneemann (2017) Bild 3

In der Rolle des abgewrackten Detektivs Hole macht Oscar-Nominee Michael Fassbender, der hier nach „Assassin’s Creed“ und „Alien: Covenant“ schon seinen dritten Projekt-Missgriff in Folge getätigt hat, zumindest eine solide Figur. Ich kenne zwar keine der Roman-Vorlagen, aber im Kontext des vorliegenden Pulp-Thrillers funktioniert sein Mix aus desillusioniertem Trinker, sensibler Privatperson und einzelgängerischer Spürnase ganz ordentlich. Eher blass bleiben jedoch seine prominenten Co-Stars, die zum Teil in kurzen Cameo-Auftritten (Chloë Sevigny, Toby Jones) völlig verheizt werden. Etwas steif, aber wenigstens noch in das Kerngeschehen aktiv involviert, ist Rebecca Ferguson, deren Katrine Bratt vom ersten Moment ein persönliches Geheimnis umgibt. Als macht- und sexgeiler Mogul Arve Stop spielt J.K. Simmons dagegen, als sei er auf einem anderen Stern gelandet, und den grotesk entstellten Val Kilmer wird man nach seinem kuriosen Auftritt so schnell nicht wieder vergessen. Die stimmungsvollen Aufnahmen Norwegens durch Kameramann Dion Beebe („Die Geisha“) und der effektive Score von Marco Beltrami („Logan“) halten die Aufmerksamkeit auch dann aufrecht, wenn man gerade mal wieder inhaltlich den Faden verloren hat – und nein, als dickes Kompliment für den Film soll das nun nicht verstanden werden.

Schneemann (2017) Bild 4

Irgendwo in „Schneemann“ steckt noch eine Geschichte über verlassene Mütter und abtrünnige Väter, die mit ihren schwachen Verknüpfungspunkten jedoch nie ihre wohl gewünschte Durchschlagskraft entfaltet. Ohne Zweifel wäre hier unter den richtigen Voraussetzungen auch ein gutes oder zumindest überzeugendes Werk drin gewesen – doch am Ende zählen natürlich nicht Spekulationen, sondern allein das Resultat. Für einen albtraumhaften Reißer mit Giallo-Elementen (ein Kindheitstrauma, ein Phantom mit schwarzen Handschuhen, ein morbides Mordwerkzeug, das direkt aus Dario Argentos „Trauma“ stammt) ist Alfredsons Krimi zu zahm und sauber geraten; für einen anspruchsvollen Thriller mit komplexen Strukturen mangelt es an der nötigen Kohärenz. „Schneemann“ ist ganz sicher nicht die einzige Produktion in jüngster Vergangenheit, die Opfer ihrer Entstehungsumstände geworden ist. Besonders traurig ist es in diesem Fall jedoch in Anbetracht der sonst so hochgradig talentierten Beteiligten. Für normale Filmfreunde dürfte der Kinobesuch einem kurzweiligen WTF-Erlebnis gleichkommen, während eingefleischte Nesbø-Jünger ernsthaft erbost sein könnten.

Schneemann (2017) Bild 5

Als persönliches Guilty Pleasure lasse ich den arg verunfallten „Schneemann“ gerne durchgehen, eine echte Empfehlung kann ich für den Film allerdings beim besten Willen nicht aussprechen.


Trailer