Christopher Nolan kritisiert Netflix' Veröffentlichungspolitik

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Christopher Nolan Film

Christopher Nolan am Set von Interstellar (2014) © Warner Bros. Pictures

Werbe-Platzhalter. Von irgendwas müssen wir auch leben ;-)

Quelle: Indiewire

Vergangenes Jahr entbrannte in Hollywood eine hitzige Diskussion, die namhafte Filmemacher in zwei entgegengesetzte Lager teilte. Dabei ging es um ein neues Streaming-System namens Screening Room, das vom Napster-Begründer Sean Parker (der Typ, den Justin Timberlake in The Social Network spielte) vorgeschlagen wurde. Dieses sollte ermöglichen, einen Film für schlappe 50 US-Dollar zeitgleich zu seiner Kino-Veröffentlichung für 48 Stunden ins eigene Zuhause zu streamen. Gerade für größere Familien wäre das sicherlich eine große finanzielle Ersparnis, wäre allerdings Kinobetreibern sicherlich ein Dorn im Auge. Regisseure wie Steven Spielberg, J.J. Abrams, Peter Jackson und Ron Howard stellten sich hinter das System, während James Cameron und Christopher Nolan vehement dagegen waren. Dass gerade die letzteren beiden von der Idee wenig halten würden, sollte niemanden überraschen, denn nur wenige Regisseure machen Filme, die so sehr für die große Kinoleinwand bestimmt sind, wie Cameron und Nolan, und beide sind immer an vorderster Front, wenn es um cineastische Innovationen gehen. Im Gegensatz zu Cameron ist Nolan allerdings ein deutlich größerer Purist, denn er besteht darauf, alle seine Filme weiterhin auf echtem Filmmaterial zu drehen und verzichtet weitestgehend auf Computereffekte, zugunsten spektakulärer "echter" Spezialeffekte. Selten war das Ergebnis so atemberaubend wie in seinem neusten Film, Dunkirk.

Die tatsächliche Einführung des Screening Rooms ist nicht in greifbarer Nähe, denn auch große Hollywood-Studios sind sich hinsichtlich des Systems noch nicht einig. Doch es gibt bereits einen Streaming-Anbieter, dessen Veröffentlichungspolitik Christopher Nolan gar nicht gutheißen kann – Netflix. Der Video-On-Demand-Anbieter produziert seit geraumer Zeit nicht nur eigene Serien, sondern auch Filme und diese werden immer hochkarätiger. Den Anfang machte vor zwei Jahren Cary Joji Fukunagas Kindersoldaten-Drama Beasts of No Nation. Seitdem produzierte Netflix u. a. die neusten Filme von Bong Joon-Ho (Okja) und Noah Baumbach (The Meyerwitz Stories), die beide dieses Jahr ihre Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes feierten. Ende des Jahres erscheint bei Netflix der erste eigenproduzierte, effektreiche Blockbuster des Anbieters, David Ayers Bright mit Will Smith. Doch der größte filmische Coup von Netflix ist die Finanzierung von Martin Scorseses Gangsterepos The Irishman, der Al Pacino, Robert de Niro, Harvey Keitel und Joe Pesci vor der Kamera vereinen soll. Dass ein Filmemacher von Scorseses Kaliber mit Netflix zusammenarbeitet, ist ein ganz großer Sprung für den Streamingdienst.

Zu einer Zusammenarbeit zwischen Netflix und Nolan wird es in nächster Zeit hingegen ganz definitiv nicht kommen, wie Nolans harte Worte deutlich machen: (aus dem Englischen)

Ich denke, dass Netflix' Investitionen in interessante Filmemacher und interessante Projekte bewundernswerter wären, wenn sie nicht als ein bizarres Druckmittel dazu genutzt wären, um Kinos schließen zu lassen. Es ist so sinnlos. Ich verstehe das wirklich nicht.

Nolan meint damit den Umstand, dass Netflix-Filme direkt weltweit über den Dienst veröffentlicht werden, ohne vorher in die Kinos zu kommen. Die größeren Netflix-Projekte bekommen auch einen limitierten Kino-Release, werden jedoch von vielen Kinoketten aufgrund der zeitgleichen Heim-Veröffentlichung boykottiert. Dass es nicht so laufen muss, zeigt Amazon Studios. Auch Amazon produziert mittlerweile eigene Filme bzw. erwirbt Rechte an Independent-Produktionen. Zu den letzten Amazon-Filmen gehörten u. a. Oscarkandidat Manchester by the Sea und Woody Allens letzter Film Café Society. Alle diese Filme erhielten jedoch einen regulären Kinostart und Amazon hat sich dazu verpflichtet, ein Fenster von mindestens 90 Tagen zwischen dem Kinostart und der Prime-Veröffentlichung einzuräumen.

Als großer Verfechter des Kino-Erlebnisses kann ich Nolans Kritik sehr gut nachvollziehen. Immer wieder macht es mich traurig, wie viele Filmfans auf den Gang ins Kino zugunsten einer späteren Sichtung auf DVD und Blu-ray verzichten. Gerade Filme von Regisseuren wie Nolan sind wirklich für das Kino gemacht und ich hätte nur ein geringes Interesse, Dunkirk jemals auch auf dem größten 4k-Fernseher zu sehen. Ich freue mich sehr auf Scorseses The Irishman, aber der Umstand, dass der Film vermutlich nicht im Kino zu sehen sein wird, gefällt mir ganz und gar nicht.

Andererseits bleibt es ein zweischneidiges Schwert, denn obwohl mich diese Veröffentlichungspolitik von Netflix stört, muss man dem Streamingdienst auch lassen, dass durch ihn Filme zustandekommen, die bei Hollywood-Studios vermutlich keine Chance gehabt hätten. Da Netflix nicht auf direkten Profit durch den jeweiligen Film angewiesen ist, sondern von der steigenden Zahl der Abonnenten lebt, kann der VOD-Gigant trauen, mehr Risiken einzugehen und hin und wieder weniger kommerzielle, risikoreiche Projekte zu finanzieren. Im Serienbereich wären Produktionen wie "The Get Down" oder "The Crown" niemals mit einem vergleichbaren Budget im normalen Fernsehen entstanden. Und natürlich hat auch Adam Sandler Netflix zu verdanken, dass er noch eine Karriere hat.

Letztlich ist eine Welt ohne Netflix für viele Film- und Serienliebhaber nicht mehr vorzustellen und da möchte ich mich keineswegs ausschließen. Gerade bei den Serien ist es doch sehr angenehm, nicht mehr jede Woche auf eine neue Folge warten zu müssen, sondern die Serien im eigenen Tempo schauen zu können. Aber Netflix wird für mich und vermutlich viele andere eingefleischte Cineasten das Kino nie ersetzen.