Lavinia Wilson im Interview: "Sexszenen sind eine makabre Situation"

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Lavinia Wilson Interview Schoßgebete

Lavinia Wilson als Elizabeth Kiehl in Schoßgebete © 2014 Constantin Film Verleih GmbH / Mathias Bothor

Zu guter Letzt habe ich auch die Gelegenheit gehabt, die Hauptdarstellerin von Schoßgebete, die großartige Lavinia Wilson, zu interviewen. Ihre vielschichtige Performance bildet das Herzstück des Films.

Zu Lavinia Wilsons bekanntesten Filmen gehören Schussangst, Allein und Oskar Roehlers Die Quellen des Lebens. In unserem Interview erzählte sie von ihrer Herangehensweise an die Darstellung der komplexen Figur und ihrer Einstellung zu Sexszenen.

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Filmfutter: Wann bist Du das erste Mal mit der Romanvorlage in Berührung gekommen?

Lavinia Wilson: Erst nachdem ich die Rolle schon bekommen habe. Mitte 2012 habe ich eine Einladung zum Casting bekommen und hatte, wie wahrscheinlich viele, von den beiden Charlotte-Roche-Büchern gehört und darüber gelesen, aber selber gelesen habe ich sie nicht. Für das Casting habe ich bewusst nur das Drehbuch gelesen und erst nachdem ich die Rolle bekam – worüber ich mich sehr freute – habe ich den Roman gelesen.

FF: Hat der Roman trotzdem noch eine starke Wirkung auf Dich gehabt, obwohl Du bereits das Drehbuch kanntest?

LW: Ja, schon. Ich habe den Roman dann natürlich mit einem ganz bestimmten Blick gelesen. Was mich an dem Buch so fasziniert hat, war, dass man eine so moderne, zeitgemäße Frauenfigur in den Mittelpunkt stellte. Sie ist witzig, schlau, verletzlich und trotzdem stark. Und sie ist nicht perfekt. So etwas gibt es als Filmfigur gerade bei Frauen extrem selten. Das hat mich total begeistert, aber gerade wegen so vieler Facetten war es auch eine große Herausforderung. Man kann natürlich damit auch auf die Schnauze fallen. Das war mir bewusst und als ich dann den Roman gelesen habe, habe ich wie in einem Steinbruch, danach gesucht, wo die psychologischen Motivationen der Figur sind und wie ich in die Tiefe der Figur vordringen kann. Ich habe ihn also schon anders gelesen, als wenn ich ihn gelesen hätte, ohne an dem Film beteiligt zu sein. Aber trotzdem hat er eine starke Wirkung auf mich gehabt.

FF: Hast Du auch „Feuchtgebiete“ gelesen, um von dem Stil noch mehr Eindrücke zu bekommen.

LW: Nein, weil es ja für mich wirklich exklusiv um die Figur Elizabeth geht. Man darf eine Figur ja auch nicht überfrachten und es steckt schon sehr viel in ihr drin. Einen weiteren Roman da noch einzubauen, würde das Ganze irgendwann diffus machen. Vielleicht lese ich den Roman aber jetzt noch.

FF: Beide Romane von Charlotte waren in Deutschland extrem erfolgreich. Worin ist, Deiner Ansicht nach, der Erfolg von Charlotte Roche begründet?

LW: Ich glaube, sie ist ehrlich und schamlos – im guten Sinne. Sie bringt die Dinge auf den Punkt. Sie scheint den Nerv der Menschen wirklich zu treffen – ob man sie nun mag oder nicht. Bei „Schoßgebete“ ist es der mittlerweile immer krasser werdende Selbstoptimierungswahn, der bei „Feuchtgebiete“ auch schon ein Bestandteil war. Charlotte führt uns vor die Augen, wie absurd die Ansprüche sind, die wir selber an uns stellen. Oder auch Fragen wie: „Wie definiere ich mich als eine moderne post-post-feministische Frau?“. Das ist auch etwas, das Elizabeth in der Geschichte erst lernen muss, dass man sich ruhig anlehnen darf, ohne dass es als Schwäche ausgelegt wird. Das müssen wir, Frauen, vielleicht auch wieder lernen, nachdem wir – natürlich mit gutem Grund – die letzten hundert Jahre mit wehenden Fahnen voranmarschiert sind und unabhängig und frei sein wollten. Das ist natürlich auch super und man wünscht sich das für die gesamte Welt, aber gerade in unseren Breitengraden müssen wir vielleicht noch einen Schritt weitergehen und lernen, dass man gemeinsam vielleicht stärker ist als alleine.

Lavinia Wilson Interview 1

FF: Bist Du als prominente Person von diesen Rollendefinitionen nicht noch mehr betroffen als viele andere?

LW: Definitiv, ja, aber ich kann es ja dann ausleben, weil ich die unterschiedlichen Rollen spielen kann. Im Privatleben kann ich es dann langweilig gestalten. (lacht)

FF: Hast Du Charlotte vor den Dreharbeiten getroffen?

LW: Ja. Wir hatten hier in Köln vor Drehbeginn ein Abendessen, bei dem auch Sönke (Wortmann) dabei war. Sie hat uns auch einmal am Set besucht. Das war mir ganz wichtig, damit sie wusste, dass ihre Geschichte bei mir gut aufgehoben ist. Ich wusste auch, dass sie vorher das Casting-Band gesehen hat und dass sie damit glücklich war, was mich natürlich auch gefreut hat. Gleichzeitig wollte ich ihr trotzdem noch persönlich das Gefühl geben, dass ihre Figur bei mir gut aufgehoben ist. Lustigerweise haben wir beim Abendessen aber überhaupt nicht über den Roman, den Film oder ihre Familiengeschichte gesprochen. Das fand ich gut. Erstens hat sie alles, was sie dazu zu sagen hat, schon im Roman gesagt und zweitens kann ich ja nicht an die Rolle herangehen und versuchen, Charlotte Roche nachzuahmen. Der einzige Fehler, den man machen kann, ist, dass man versucht, die reale Person, die man verkörpert, nachzumachen. Das wird nur äußerlich sein und wird auf der Leinwand immer als billiger Abklatsch wirken. Ich musste meinen eigenen Zugang finden.

FF: Charlotte hat natürlich ein sehr persönliches Trauma in dem Roman verarbeitet. Als Du die Rolle gespielt hast, hattest Du das Gefühl, gleichzeitig Elizabeth und Charlotte zu spielen? Kann man das überhaupt klar trennen?

LW: Das kann man überhaupt nicht klar trennen. Es ist natürlich Charlottes Geschichte und daraus macht sie keinen Hehl. Aber sobald ich das spiele, kann ich nicht den Gedanken zulassen, dass es ja die wahre Geschichte von Charlotte Roche ist. Das ist ein Verdrängungsakt, den ich vollbringen musste. Aber wir Menschen können sehr gut verdrängen, deshalb hat das geklappt. Sonst würde so eine komische falsche Betroffenheit dabei entstehen, weil man solche Angst vor der Größe dieses Dramas bekommt, dass man dem nicht gerecht wird. Ich gehe das einfach als eine Rolle an, sonst würde es keinen Spaß machen und ich wäre gehemmt. Dazu fällt mir immer ein schönes Beispiel ein. Thomas Thieme, ein großartiger Schauspieler, hat vor über 20 Jahren in einem Fernsehfilm Helmut Kohl gespielt (Anm. der Red: „Der Mann aus der Pfalz“ von 1989). Der Film war so lala, aber Thomas Thieme war super. Was Thieme gemacht hat: er hat Helmut Kohl, den ursprünglichen Pfälzer, völlig dreist mit seinem eigenen, eher ostdeutschen Akzent gesprochen. Und es war super, weil er den Kern der Figur getroffen hat, diesen Menschen, dem es um Macht, die Erhaltung von Macht und dem Zerbrechen an der Macht ging. Das ist der Schlüssel.

FF: In Deiner Rolle als Elizabeth, musst Du dich im Film entblößen, körperlich wie seelisch. Hat Dich das nervös gemacht?

LW: Gerade was die Sexszenen angeht, steht es natürlich im Drehbuch und man weiß, was auf einen zukommt. Beim Drehen selbst weiß man auch, was auf einen zukommt, denn es wird sehr genau besprochen. Grundsätzlich ist es mir persönlich viel unangenehmer und peinlicher, wenn ich eine Szene schlecht spiele oder, noch schlimmer, Komik versuche zu spielen, die nicht witzig ist, als wenn jemand meinen Po sieht. Grundsätzlich bin ich also recht locker, was diese Szenen betrifft. Trotzdem merkt man an dem Tag, an dem man diese Szenen dann dreht, dass jeder so tut, als wäre es das Normalste auf der Welt und in Wirklichkeit sind alle total nervös. Weil es schon komisch ist! Es ist komisch, wenn man sich vor fremden Menschen auszieht und so tut, als würde man Sex haben. Sexszenen sind eine makabre Situation. (lacht) Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass die Nervosität vor allem daher kommt, dass man Angst hat, dass die Situation verkrampft ist, dass eine komische falsche Klemmigkeit die Szene kaputtmacht. In dem Fall war es auch so, dass diese Puffszene Jürgen Vogels erster Drehtag war. Das Glück war, dass sobald er am Set auftaucht, es immer was zu lachen gibt. Das hat uns alle wahnsinnig gelockert.

Lavinia Wilson Interview 2

FF: Wie lange dauerte der Dreh der großen Dreier-Szene?

LW: Einen halben Tag. Was ganz wichtig ist, dass man mental auch eine Überschrift für die Szene hat. Es geht natürlich um Sex und um Treue und Beziehung, aber gerade diese Szene ist auch eine Art Mutprobe. Wenn ich mit meinem Mann in den Puff gehen kann, kann ich alles. Dann sind wir unverwundbar. Das gibt dem noch eine ganz andere Tiefe.

FF: Wenn man so eine Szene dreht, ist jede Bewegung im Drehbuch bereits vorchoreographiert?

LW: Nein, im Drehbuch nicht, aber es wird vorher abgesprochen. Hier war es so, dass nicht viel vorgegeben war, aber wir haben im Vorfeld uns zusammengesetzt, auch mit Isabelle Redfern, die Grace spielt, und dem Kameramann, und besprochen, was wir zeigen wollen und wie wir es zeigen wollen. Das war uns allen sehr wichtig, dass es schön aussieht, aber nicht perfekt.

FF: Würdest Du sagen, dass Sex im Film eine Lösung für Elizabeths Probleme ist?

LW: Schön, wenn es so einfach wäre! (lacht) Eine der Lösungen, vielleicht. Ich glaube, sie hätte es gerne so. Wenn es ein Mittel dazu ist, loszulassen, sich fallen zu lassen und anderen zu vertrauen, dann ja.

FF: Wenn man „Charlotte-Roche-Verfilmung“ hört, dann erwarten viele Menschen ganz bestimme Dinge. Sie erwarten viel Sex und viele Tabubrüche. Würdest Du aus Deiner Sicht sagen, dass es auf Schoßgebete zutrifft?

LW: Also wir haben Sex, aber nicht im Übermaß. Tabubrüche…da frage ich mich, was ein Tabu ist. Gerade nach Feuchtgebiete gibt es eigentlich keine Tabus mehr, die man brechen könnte, gerade was den physischen Ekel-Faktor angeht. Was spannend ist, ist die Frage, wie man eine lange Beziehung frisch hält. Das fragen sich natürlich viele Menschen. Man darf von dem Film mehr erwarten, als Sex und Tabubrüche, und zwar, dass man viel zu lachen hat und zwischendurch auch eine Träne verdrückt. Das ist das, was mich auch selbst im Kino interessiert.

FF: Es gibt ja eine Szene, die ein bisschen in Richtung Ekel geht, die Würmer. Welche Bedeutung haben sie deiner Meinung nach in dem Film?

LW: Die beste Komödie fußt auf einem tragischen Untergrund, sonst ist sie flach. Meine Interpretation ist, dass die Würmer, von denen sie Angst hat, dass sie sie von innen auffressen, mit dem Tod zu tun haben.

FF: Hast Du eine Lieblingsszene in dem Film?

LW: Die Anfangsszene hat schon sehr viel Spaß gemacht, diese „Ego-Shooter“-Actionszene zu spielen, weil ich das noch nie durfte. In deutschen Filmen gibt es das ja sehr selten. Es ist mein „Lara Soft“-Moment. (lacht) Elizabeth ballert da rum, trägt aber einen rosafarbenen Camouflage-Anzug. Das war auch sehr aufregend, weil wenn ich einen Fehler in der Szene gemacht hätte, hätten alle noch zwei Stunden länger warten müssen, weil das ganze Set-Up nochmal hätte neu aufgebaut werden müssen.

Lavinia Wilson Interview 3

FF: Ein wichtiges Thema in dem Film sind die Medien, die Elizabeths Tragödie ausgebeutet haben. Als Schauspielerin kommst Du ja auch sehr häufig mit Medien in Berührung. Wie ist Deine Einstellung dazu?

LW: Also ich bin der Meinung, dass wenn ich meine Hochzeit an die „Bunte“ verkaufe, sie auch über die Scheidung schreiben wird, und zwar ohne mich zu fragen. Es ist schlau, sich da bedeckt zu halten. Wir haben in Deutschland zum Glück noch ein gutes Persönlichkeitsrecht. Wenn man sich anschaut, wie das in den USA ist oder wie die Yellow Press in England ist, da sind wir hier im Land der Glückseligen.

FF: Zu guter Letzt – was steht für Dich demnächst an?

LW: Ich habe gerade ein Kind gekriegt und habe sechs Monate Pause gemacht. Ab nächster Woche drehe ich in Bayern und in Südtirol einen Kinofilm mit dem Titel Outside the Box. Das ist eine Satire auf Unternehmensberatung und ich spiele die PR-Managerin. Der Regisseur ist Philip Koch, dessen Debütfilm Picco war, ein düsteres Knastdrama. Jetzt versucht er sich an einer schwarzen Komödie.

FF: Vielen Dank für das Interview!

von Arthur Awanesjan

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Schoßgebete läuft seit dem 18.09. in den deutschen Kinos.

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Szenenbilder © 2014 Constantin Film Verleih GmbH / Tom Trambow