Dunkirk (2017) Kritik

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Dunkirk, USA/GB/NL/FR 2017 • 106 Min • Regie: Christopher Nolan • Mit: Fionn Whitehead, Mark Rylance, Cillian Murphy, Tom Hardy, Aneurin Barnard, Kenneth Branagh, James D’Arcy, Harry Styles • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 27.07.2017 • Deutsche Website

Handlung

Im Mai 1940 scheint Hitlers Plan zur Eroberung Europas aufzugehen. Die Wehrmacht drängt die alliierten Streitkräfte aus Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Kanada an die französische Küste des Ärmelkanals zurück. Eingekesselt vom übermächtigen Feind, der in regelmäßigen Abständen Bomben auf sie herabregnen lässt, warten etwa 400.000 demoralisierte Alliierte an den Stränden von Dünkirchen auf ein Wunder. Die rettende britische Küste ist nur 26 Meilen entfernt, doch Evakuierungsversuche werden von deutschen Fliegern und U-Booten erschwert, die die britischen Schiffe versenken. An Land versucht der traumatisierte junge Soldat Tommy (Fionn Whitehead) verzweifelt in die Heimat zu entkommen. Auf der See macht sich Mr. Dawson (Mark Rylance) gemeinsam mit seinem Sohn Peter (Tom Glynn-Carney) und dessen Schulkameraden George (Barry Keoghan) mit seiner kleinen Yacht nach Dünkirchen auf, um bei der Rettungsaktion zu helfen. In der Luft muss RAF-Pilot Farrier (Tom Hardy) in seiner Spitfire für die sichere Überfahrt der Schiffe über den Ärmelkanal sorgen und Luftkämpfe mit der deutschen Luftwaffe austragen. Die Zeit rennt allen davon und vom Erfolg von Operation Dynamo, wie die Evakuierung genannt wurde, hängen nicht nur Hunderttausende Soldatenleben ab, sondern auch die Zukunft Westeuropas.

Kritik

"Wir haben nur überlebt."
"Das ist genug."

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Dunkirk (2017) Filmbild 1Dieser Austausch, der am Ende von Dunkirk zwischen einem heimgekehrten britischen Soldaten und einem alten Mann, der ihn am Hafen empfängt, stattfindet, fasst den Kern von Christopher Nolans zehntem Film zusammen. Es gibt keine großen Siege, aufwühlenden Reden oder jeglichen Pathos in dem Film. Auch wenn die Evakuierung von Dünkirchen, in deren Verlauf knapp 340.000 Soldaten nach Großbritannien gerettet werden konnten und damit der Gefangennahme entgingen, ein logistischer Triumph war, geht es in dem Film vordergründig nicht darum. Hier geht es um das nackte Überleben. Es sind die kleinen Dinge, die hier zählen. Natürlich stand damals sehr viel auf dem Spiel. Wären die Streitkräfte nicht rechtzeitig evakuiert und stattdessen von der Wehrmacht überrannt worden, wären die Auswirkungen für den weiteren Kriegsverlauf verheerend und wir würden möglicherweise heute in einer anderen Welt leben. Doch die traumatisierten und offenbar schlecht vorbereiteten Soldaten, die am kargen Strand von Dünkirchen auf ihre Rettung oder den Tod warten, haben keinen Kopf für das große Ganze. In ihren zermürbten, apathischen Gesichtern, in ihren über die Niederlage beschämten Blicken, spiegelt sich nur Ungewissheit darüber wider, was sie in absehbarer Zeit erwartet. An die nächsten Monate und Jahre ist nicht zu denken, wenn man nicht weiß, ob man die nächsten Stunden überstehen wird. Überleben ist die größte Leistung, die die jungen Männer in ihrer augenscheinlich ausweglosen Situation erbringen können.

Dunkirk (2017) Filmbild 2Als Christopher Nolan Dunkirk als seinen nächstes Projekt auserkoren hat, breitete sich unter einigen seiner Fans die Sorge aus, dies könnte das Zugeständnis des Meisterregisseurs an die Erwartungen der Academy sein, um endlich die längst verdiente Oscarnominierung als Regisseur zu ergattern. Es gibt schließlich kaum ein Filmgenre, das so Oscar-freundlich ist, wie der Kriegsfilm. Der Gedanke, dass der idiosynkratische Filmemacher, der das Superheldenkino revolutionierte und einige der besten Science-Fiction-Filme der letzten Jahrzehnte erschuf, dem phantastischen Kino zugunsten eines Historienfilms den Rücken kehren würde, stimmte so einige missmutig. Spätestens nach Quentin Tarantinos Geschichtsrevision Inglourious Basterds schien nichts mehr aus dem Zweiten Weltkrieg zu holen zu sein, was nicht irgendwie schon ausgelutscht war. Dunkirk beweist jedoch, dass es nicht auf das Thema ankommt, sondern auf die Person, die es umsetzt. Der Film spielt im Krieg, doch er ist kein klassischer Kriegsfilm. Genau genommen ist Dunkirk ein Kriegsfilm, wie es ihn zuvor noch nie gegeben hat. Christopher Nolan mag sich vielleicht ein bekanntes Thema ausgewählt haben und verfilmte erstmals reale Ereignisse, doch Dunkirk ist kein typischer Oscar-Hoffnungsträger, sondern ein Nolan-Film durch und durch. Man könnte sogar sagen, dass durch die Verdichtung der Handlung auf knackige 106 Minuten, Nolans Fingerabdruck noch mehr zum Vorschein kommt, als in allen seinen bisherigen Filmen.

Dunkirk (2017) Filmbild 3Ob in Memento, Inception oder Interstellar – die Zeit und ihr Ablauf haben Nolan schon häufig in seinen Filmen beschäftigt und fasziniert. Diese Faszination übertrug er auch auf sein neustes Szenario. Anstatt einer klassischen Geschichte mit drei Akten, ist Dunkirk ein Film von drei Zeitebenen. Während für die Soldaten an Land eine Woche vergeht, verbringt der Hobby-Segler Mr. Dawson einen Tag auf See und Tom Hardys Kriegspilot lediglich eine Stunde in der Luft. In der nichtlinearen Erzählstruktur des Films, in der diese drei Zeitebenen miteinander konvergieren und dann wieder auseinanderdriften, zerfließt und verschwindet jegliches Zeitgefühl. Man stelle sich Memento als Kriegsfilm vor, nur dass die Zeit nicht rückwärts fließt, sondern in wechselnder Geschwindigkeit. Wir treffen auf die gleichen Charaktere zu unterschiedlichen Zeitpunkten und sehen einige Ereignisse aus mehreren Blickwinkeln, wobei sich mit jedem neuen Blick weitere Details eröffnen, bis sich alles zu einem stimmigen Bild zusammenfügt.

Es ist eine sehr ambitionierte Herangehensweise, die zum wiederholten Anschauen des Films anregt (man wird den Film beim zweiten Mal sicherlich mit anderen Augen sehen als beim ersten). Dass die einzelnen Erzählstränge nahtlos ineinander übergehen und der Film trotz seiner Triptychon-Struktur wie aus einem Guss wirkt, ist der gut durchdachten Vision von Christopher Nolan zu verdanken. Es ist vielleicht noch zu früh, Dunkirk als Nolans besten Film zu erklären, doch handwerklich war der Regisseur noch nie besser als hier. Er ist der Komponist dieser Symphonie von einem Film und als Dirigent hat er sein Orchester fest im Griff. Wie in einem perfekt abgestimmten Uhrwerk greift jedes Rädchen hier ins andere und der komplexe Mechanismus funktioniert einwandfrei. Und wenn Ihr an dieser Stelle die Nase von pseudointellektuellen Metaphern voll habt – es ist ein verdammt gut gemachter Film und ein weiterer Beleg dafür, dass Nolan ein visionärer Regisseur ist, der in die Filmgeschichte eingehen wird. In Inception sprachen die Charaktere von Paradoxen, mit Dunkirk hat Nolan einen Film erschaffen, der in sich ein Paradox ist. Es ist ein Film von unglaublichen, großen Bildern, die die gigantischen Ausmaße der Lage hervorheben. Zugleich ist es in Essenz auch Nolans kleinster Film seit Memento, indem er spezifische Aspekte aus dieser großen Geschichte herauspickt und diese intensiv betrachtet.

Dunkirk (2017) Filmbild 5Die visuelle Kraft, die Dunkirk auf der Leinwand entfaltet, sucht ihresgleichen. Nolans Ideen sind zwar stets alles andere als gewöhnlich, doch handwerklich versteht er sich als Traditionalist. Das bedeutet, dass auf Computereffekte zugunsten von echten Flugzeugen, Schiffen, Explosionen und Statisten weitgehend verzichtet wurde. Auch wenn digitale Effekte sicherlich hier und da zum Einsatz kamen, ist in keiner einzigen Szene des Films CGI erkennbar zu sehen. Die spektakulären Luftkämpfe im Film wurden mit echten, restaurierten Flugzeugen aus der Ära gedreht und das sieht man dem Film auch an. Die sparsam eingesetzte Action wird dadurch umso effektiver, greifbarer und mitreißender. Hoyte van Hoytema, der den ganzen Streifen auf großformatigen 65mm-Film gebannt hat, kann schon anfangen, seine Oscarrede zu schreiben, denn man wird dieses Jahr vermutlich keine Aufnahmen im Kino sehen, die so atemberaubend sind wie seine. Das gilt gleichermaßen für die actionreichen wie auch die ruhigen Momente des Films. Beim Anblick riesiger träger Menschenmassen vor rauer See, die die Trostlosigkeit und die Isolation spürbar einfangen, des langsamen Sinkflugs eines Kampffliegers im Sonnenlicht, oder der unendlichen Weite der See, kommt man aus dem Staunen nicht heraus.

Dunkirk (2017) Filmbild 4Doch Dunkirk ist nicht nur ein Spektakel, der Film ist auch eine Lehrstunde in meisterhafter Spannungserzeugung mit simplen Mitteln. Diese beginnt bereits in der allerersten Szene, in der erschöpfte, durstige Soldaten durch die malerischen Straßen von Dünkirchen irren und plötzlich von deutschen Kugeln nacheinander erwischt werden, während sie versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Es ist eins von Nolans vielen Talenten, die Zuschauer bereits mit der ersten Szene seiner Filme mitten ins Geschehen zu katapultieren – man denke an den spektakulären Bankraub in The Dark Knight oder den Gedankenraub in Inception – und das gelingt ihm auch in Dunkirk, ohne dass er dafür diesmal aufwendige Effekte oder große Action benötigt. Nur einige verängstigte Männer und Kugeln, die von einem unsichtbaren Feind kommen. Überhaupt sind die Deutschen in dem Film, bis auf Silhouetten in einer einzigen Szene, nie zu sehen. Dennoch sind sie omnipräsent. Ihre Bomben vom Himmel, ihre Torpedos im Wasser und ihre Kugeln an Land repräsentieren eine unüberwindbare, unaufhaltsame Gefahr, der die meisten Charaktere hier nichts entgegenzusetzen haben. Die Entscheidung, auf jegliche Darstellung des Feindes zu verzichten, wirkt sich zum großen Vorteil aus, denn die Bedrohung, die man nicht sieht, ist viel unheimlicher als Schergen in Nazi-Uniformen. Die ständige Angst und Sorge der Soldaten zeigen sich in einer Szene, in der ein britischer Soldatentrupp ein Rettungsschiff besteigt und einer von ihnen dieses sofort nach möglichen Fluchtwegen absucht, sollte ein Torpedo das Schiff versenken.

Nolan zieht die Spannungsschraube während des Films gnadenlos an, bis an die Grenze des Erträglichen und darüber hinaus. Insbesondere eine Szene, die sich im dunklen Inneren eines Kutters abspielt, ist so nervenzerreißend, dass man als Zuschauer bei jedem Knall zusammenzuckt. Ein großes Lob gebührt an dieser Stelle auch de oscarreifen Tontechnikern und Nolans Stamm-Cutter Lee Smith. Der Film mag eine PG-13-Freigabe tragen und verzichtet auf explizite Gewaltdarstellungen à la Hacksaw Ridge und doch ist er weit intensiver und nervenaufreibender als alle Filme, die dieses oder letztes Jahr im Kino liefen.  Einen großen Teil trägt dazu auch Hans Zimmers pulsierende Musik bei, die große Dringlichkeit vermittelt, indem sie fast die gesamte Zeit über mit einer im Hintergrund tickenden Uhr hinterlegt wird. Man kann es als einen Trick bezeichnen, gar einen Gimmick, aber mein Gott, funktioniert dieser Trick gut! Irgendwann empfindet man die Musik selbst in dem Film als den Feind und das Ticken bekommt man noch lange nach der Sichtung nicht aus dem Kopf. Nicht seit dem Indie-Horrorhit It Follows hat der Score so sehr den Spannungslevel eines Films bestimmt, und passenderweise hat mich auch kein anderer Film seit It Follows so sehr an die Grenzen meiner Nerven gebracht wie Dunkirk.

Dunkirk (2017) Filmbild 6Viel wurde aus der überraschend kurzen Laufzeit des Films gemacht, die ganz untypisch für große Kriegsfilme, aber auch für Nolans Filmografie ist. Nur sein Regiedebüt Following war noch kürzer. Auch hier zeigt sich, dass nicht die Dauer entscheidend ist, sondern was man aus ihr macht. In diesem Film ist alles präzise kalibriert und durchdacht. Kein Gramm Fett ist überschüssig, keine Einstellung, keine Szene verschwendet. Es ist ein sehr zielgerichteter, sparsamer Film, der das Wesentliche nie aus den Augen verliert. Wem The Revenant schon zu dialoglastig war, ist in Dunkirk gut aufgehoben, denn gesprochen wird hier nur, wenn es unbedingt sein muss. Kein Charakter hat Zeit oder Lust auf längere Gespräche, die Dialoge sind stets zweckdienlich. Auch Charakterentwicklung oder Vorgeschichten von Figuren sucht man hier vergebens. Von manchen Figuren erfahren wir nie die Namen, wie beispielsweise von Cillian Murphys traumatisiertem Soldaten, dessen Blick in seiner ersten Szene schon alles verrät, was man wissen muss. Die Zuschauer werden nicht dazu ermuntert, sich mit einer Figur besonders zu identifizieren, sondern sie werden durch die authentische Darstellung in die Gesamtsituation hineinversetzt.

Das soll jedoch nicht bedeuten, dass die schauspielerischen Leistungen schwach sind. Wie auch jedes andere Element bei diesem Film, erfüllt jeder Schauspieler seine Aufgabe, damit Nolans Gesamtvision funktioniert. Niemand stiehlt hier jemandem die Show und die frischen Newcomer wie Fionn Whitehead oder One-Direction-Sänger Harry Styles sind ebenso glaubwürdig in ihren Rollen, wie bekanntere Darsteller wie Tom Hardy, Mark Rylance oder Kenneth Branagh. Wenn überhaupt, dann ist Oscarpreisträger Rylance hervorzuheben, als ein Mann der leisen Töne aber großen Entschlossenheit. Als Musterbeispiel für Zivilcourage, macht sein Charakter bei der Rettungsaktion nicht mit, weil er sich als Held fühlt oder besonders mutig ist, sondern weil es einfach jemand tun muss. In einem einzelnen Satz wird seine Motivation später im Film um eine weitere Facette erweitert, was ihn schon zum vielschichtigsten Charakter des Films macht.

Nolan versucht nicht, Geschichte neu zu schreiben und die Evakuierung selbst als Sieg darzustellen. "Wir müssen vorsichtig vermeiden, diese Befreiung als Sieg zu feiern; Kriege werden nicht durch Evakuierungen gewonnen", liest ein Soldat im Film die berühmte "We shall fight on the beaches"-Rede von Churchill vor. Was in Dunkirk gewonnen wird, ist nicht kein Krieg und keine Schlacht, sondern ein Hoffungsschimmer und nach der Tour de Force, die Zuschauer gemeinsam mit den Charakteren durchmachen müssen, ist dieser Hoffnungsschimmer auch verdient.

Fazit

Mit unvergleichlich spektakulären Bildern, nervenaufreibender Musik, raffiniertem Schnitt und überzeugenden Darsteller erweckt Christopher Nolan seine einzigartige Vision zum Leben und erschafft den spannendsten Kriegsfilm aller Zeiten, der gleichzeitig episch und intim ist. Dunkirk ist mehr als die Summe seiner Teile: Die einzelnen Elemente harmonieren perfekt miteinander und bringen ein Meisterwerk für die Ewigkeit hervor.

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