Der dunkle Turm (2017) Kritik

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Der dunkle Turm (2017) Filmkritik

The Dark Tower, USA 2017 • 95 Min • Regie: Nikolaj Arcel • Mit: Idris Elba, Matthew McConaughey, Tom Taylor, Abbey Lee, Kathryn Winnick, Jackie Earle Haley, Frank Kranz • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 10.08.2017 • Deutsche Website

Handlung

Der dunkle Turm, ein hoch in den Himmel hinaufragendes, mystisches Bauwerk, ist der Nexus aller Welten, und so lange er steht, beschützt er sie vor den Dämonen, die in der unendlichen Dunkelheit außerhalb des Universums lauern. Der mächtige Zauberer Walter Paddick alias Der Mann in Schwarz (Matthew McConaughey) versucht schon lange, den Turm zu stürzen und der Finsternis den Weg in unsere und andere Welten zu ebnen. Dazu benötigt er telepathisch begabte Kinder, mit deren Hilfe der Turm zum Einsturz gebracht werden kann. Seine Lakaien, humanoide Wesen mit Tierköpfen, die ihre wahre Natur unter Masken aus menschlicher Haut verbergen, entführen für ihn solche Kinder aus verschiedenen Welten, doch der Turm hält den Angriffen stand. Die Schlüssel könnte der 11-jährige Jake Chambers (Tom Taylor) aus New York sein, dessen "Shine" besonders ausgeprägt ist und der seit geraumer Zeit von Visionen des Turms, des Mannes in Schwarz und seines Widersachers, des Revolvermannes, geplagt wird. Auf der Flucht vor seinen Verfolgern durchquert Jake ein Portal in eine andere Welt, wo er auf den Revolvermann aus seinen Träumen trifft. Roland Deschain (Idris Elba) ist der letzte aus einer langen Linie von Revolvermännern, treffsicheren Kriegern und Beschützern des Turms. Doch Roland wird bei seiner Suche nach dem Mann in Schwarz nicht von edlen Motiven angetrieben, sondern von Rachegelüsten, denn Walter tötete einst seinen Vater. Mithilfe von Jakes Visionen hofft er, herauszufinden, wo sich Walters Unterschlupf befindet.

Kritik

Stellt Euch vor, es gibt ein weltberühmtes Kochbuch, voll mit exquisiten, außergewöhnlichen Rezepten aus ungewöhnlichen Zutaten. Nach diesem Buch, das seit Jahrzehnten bekannt ist, kann man ein ganzes Festessen kochen, mit Vorspeisen, Hauptspeisen und Desserts, die jedem Gourmet das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen würden. Doch die Rezepte sind so kompliziert, dass die Köche sich jahrelang nicht an sie herantrauen. Mehrere Restaurants nehmen sich das Kochbuch vor und über ein Jahrzehnt wechselt es die Hände von einigen der berühmtesten Köche der Welt, die Euch versprechen, aus der umfangreichen Auswahl der Vorlage, ein Menü zusammenzustellen. Irgendwann, nachdem Ihr die Hoffnung fast schon aufgegeben habt, ist es endlich so weit. Die Köche kündigen eine Weiterentwicklung der Rezepte aus dem Buch an. Ihr kommt erwartungsvoll ins Restaurant und der Kellner bringt das Ergebnis der jahrelangen Bemühungen an den Tisch. Es ist ein Schnitzel mit Pommes. Das Schnitzel ist ein wenig trocken, den Pommes fehlt das Salz. Es ist alles noch essbar, füllt auch den Magen, doch habt Ihr die ganze Zeit wirklich darauf gewartet?

So in etwa lässt sich das Kinoerlebnis bei Der dunkle Turm beschreiben. Die lange erwartete Adaption des ultrakomplexen, genreübergreifenden achtteiligen Roman-Zyklus von Stephen King ist nicht der schlechteste Film des Jahres, aber angesichts seines durch die Vorlage gegebenen Potenzials definitiv der enttäuschendste. Es war schon immer klar, dass jegliche Verfilmung dieses Mammutwerks vor einer gigantischen Herausforderung stehen würde. Der dunkle Turm in den Romanen ist nicht nur das Objekt von Roland Obsession und die Schnittstelle aller Welten, sondern steht auch symbolisch für den Dreh- und Angelpunkt von Stephen Kings gesamtem Lebenswerk. Fast alle Romane in Kings langer Karriere sind auf die eine oder andere Weise mit der "Turm"-Reihe verbunden. Diese Verbindungen reichen von beiläufigen Bemerkungen und kleinen Querweisen bis hin zu Charakteren aus anderen Romanen, die bei "Der dunkle Turm" ebenfalls eine Rolle spielen. Sogar sich selbst hat Stephen King als Figur in dem Zyklus verewigt. Wenn man vor so einer detailliert ausgearbeiteten Meta-Welt steht, in der sogar die Fans manchmal den Überblick verlieren, wo fängt man bei einer Adaption überhaupt an, um sowohl die Kenner der Vorlage zufriedenzustellen als auch Nicht-Eingeweihten einen Zugang zur Materie zu ermöglichen?

Der dunkle Turm (2017) Filmbild 1Es ist die ewige Frage nach der Vorlagentreue auf der einen und Kompromissen für die cineastische Umsetzung auf der anderen Seite. Zum Glück bot sich dem dänischen Regisseur Nikolaj Arcel (Die Königin und ihr Leibarzt), der mit dem Film sein englischsprachiges Debüt feiert, ein durch die Natur des Roman-Zyklus gegebenes Schlupfloch (wer die Romane gelesen hat, weiß, was damit gemeint ist) – der Film wurde kurzerhand als eine Fortsetzungsgeschichte der Romane deklariert, die zugleich aber auch viele Elemente aus der Vorlage adaptieren konnte, ohne sich dabei strikt an die chronologische Abfolge halten zu müssen. Dieser Ansatz wurde für die Macher zu ihrer eigenen "Du kommst aus dem Gefängnis frei"-Karte, um jede beliebige Veränderung, Anpassung oder Auslassung zu rechtfertigen. Doch die Ausrede einer Fortsetzung rechtfertigt kein Drehbuch, das sich anfühlt, als hätte man die Geschichte durch den Schredder gejagt und danach hastig wieder zusammengeklebt, und sie entschuldigt auch nicht eine willkürliche Veränderung des Grundtons der Romane (die staubtrockene Western-Atmosphäre sucht man vergeblich) und der Motive der Charaktere.

Roland Deschain ist in den Romanen ein komplexer, über weite Strecken durchaus unsympathischer Antiheld, der von seiner Besessenheit angetrieben wird, den dunklen Turm zu erreichen. Er sollte ein überlebensgroßer, beinahe mythischer Charakter sein, nicht bloß ein Revolverheld, der schnell ziehen, schießen und nachladen kann. Im Film ist sein Hauptmotiv lediglich Rache, eine Idee, die für viele Zuschauer vielleicht leichter nachvollziehbar ist, die die Figur aber ihrer Besonderheit beraubt. Idris Elba ist adäquat besetzt. Er hat die Ausstrahlung und das Charisma eines innerlich gequälten, äußerlich stoischen einsamen Wolfs und spielt im Prinzip wieder seine Paraderolle John Luther im Gewand eines Westernhelds. Das Skript lässt Elba jedoch trotz seiner besten Bemühungen im Stich. Die Bande, die Roland mit Jake knüpft, soll das Herzstück des Films darstellen, doch das geschieht so sprunghaft und beliebig, dass sie sich einfach nicht natürlich anfühlt. In einem Moment will er von dem Jungen nichts wissen, im nächsten setzt er alles daran, um ihn zu beschützen. Immerhin sorgen Elbas Szenen in New York für amüsante fish-out-of-water-Momente, wenn er einen Hotdog isst oder Bus fährt.

Auch Matthew McConaughey ist als Rolands Erzfeind gut getroffen, bleibt als Charakter jedoch extrem eindimensional. Doch das scheint den Oscarpreisträger wenig zu stören. McConaughey spielt lässig, affektiert, genüsslich böswillig, mit Darth-Vader-esken Kräften und absoluter Gleichgültigkeit gegenüber allem, was um ihn herum geschieht, als würde er in einem anderen Film auftreten als der Rest der Besetzung. Man hat den Eindruck, als ginge ihm die gesamte Mythologie am Allerwertesten vorbei und er tauchte nur auf, weil er Lust hatte, mal so richtig böse zu spielen. Erinnerungen an seine genial schmierige Performance in Killer Joe werden spätestens dann wach, wenn sich Walter mal eben Hähnchenfleisch brät, während er auf seine nächsten Opfer wartet.

Der dunkle Turm (2017) Filmbild 2Der Löwenanteil der kurzen Laufzeit des Films gehört allerdings keinem der beiden gestandenen Darsteller, sondern dem Newcomer Tom Taylor als Jake. Er spielt seinen Part glaubwürdig und engagiert, doch diese weitere in einer langen Reihe von Fehlentscheidungen degradiert Roland und Walter beinahe zu Randfiguren und grenzt deren bereits engen Entfaltungsspielraum weiter ein. Die eigentlichen Nebencharaktere, die aus diversen Teilen der Romanreihe hier zusammengebracht werden, bleiben völlig bedeutungslos, deren Besetzung durch namhafte Darsteller wie Dennis Haysbert, Fran Kranz oder Jackie Earle Haley komplett vergeudet.

Woran der Film jedoch hauptsächlich scheitert, ist der Versuch, Stephen Kings komplexes Universum in dem Film nachzubauen. Egal wie abgefahren, absurd oder fantastisch die gezeigte Welt ist, der Zuschauer muss sie als in sich schlüssig und innerhalb des Films glaubwürdig wahrnehmen. Wenn man Peter Jacksons Der-Herr-der-Ringe-Filme anschaut, wird man jeweils für drei Stunden nach Mittelerde entführt. Sieht man die Star-Wars-Reihe, taucht man in die weit, weit entfernten Galaxis ein. Das nennt man Worldbuilding und während seiner atemlosen Hatz zwischen den Welten, vergisst der Film, dass dies das A und O des Fundaments eines jeden Franchises ist. Ein Schriftzug klärt uns zu Filmbeginn darüber auf, dass der dunkle Turm alle Welten zusammenhält und nur der Verstand eines Kindes ihn zum Einsturz bringen kann. Es wird davon ausgegangen, dass diese trocken mitgeteilte Information einfach als solche angenommen und nicht hinterfragt wird. Warum genau der Mann in Schwarz die Dunkelheit über die Welt hereinbrechen lassen will, bleibt vage. Irrelevant ist für die Macher auch die Frage, wer Walters Handlanger sind und was sie davon haben, dass der Turm gestürzt wird. Das ist nicht etwas, was sich durch "warte bis zum nächsten Film" wegerklären lässt.

Der dunkle Turm (2017) Filmbild 3In einer Zeit von aufgeblähten Blockbustern spricht nichts gegen einen kurzen und knackigen Film ohne unnötigen Ballast und man muss Der dunkle Turm lassen, dass der Streifen durch sein sehr flottes Tempo keine Langeweile aufkommen lässt. Die Filmlänge bestimmt an sich nicht die Filmqualität, doch wenn jemand Tolstois "Krieg und Frieden" als 90-Minüter verfilmt, sollte man mit Fug und Recht skeptisch sein. Die Welt, die hier erschaffen wird, hat keine Luft zum Atmen. Wenn ein Film dieses Jahr von einer zusätzlichen halben Stunde profitiert hätte, dann dieser. Das hätte nicht alle Probleme des Films geglättet, doch es wäre zumindest der Grundstein, auf dem man später aufbauen könnte. Alles hier ist furchtbar routiniert, zweckmäßig und flüchtig. Symbolisch für diese augenscheinliche Lieblosigkeit ist der große Showdown des Films, der in einem absolut nichtssagenden Lagerhaus stattfindet und optisch so wirkt, als handle es sich dabei um eine nicht verwendete Szene aus einem Underworld– oder Resident-Evil-Sequel (es ist kein Zufall, dass beide ebenfalls Sony-Produktionen sind). Kompetent inszeniert, aber auch austauschbar. Neben anderen Mängeln wird anhand dieser Szenen auch das begrenzte Budget des Films recht offensichtlich, doch andere Regisseure haben auch aus geringeren Mitteln mehr gemacht.

Um die Fans zu beschwichtigen, warten auf sie in dem Film an jeder Ecke Referenzen und Anspielungen auf andere King-Werke, wie "Shining", "Es", "Zimmer 1408" oder "Brennen muss Salem". Auch der wahre Antagonist des Roman-Zyklus, der scharlachrote König, bekommt mittels eines Schriftzugs und eines bekannten Symbols eine Erwähnung. Der mittlerweile legendäre Eröffnungssatz des ersten Romans wird weitgehend zusammenhangslos in den Raum geworfen. Es ist, als ob die Filmemacher erwarten, dass jeder Fan in Freude ausbricht, wenn er die zahlreich verstreuten Easter Eggs bemerkt. Doch solche Querverweise bedeuten wenig, wenn ihnen keine weitere Bedeutung zukommt. Für alle, die die Bücher nicht kennen, bleiben sie bestenfalls belanglos, schlimmstenfalls verwirrend.

Völlig von seiner Vorlage losgelöst, ist Der dunkle Turm ein passabler, anspruchsloser und sehr generischer Science-Fantasy-Actionstreifen mit guten Darstellern, einem unausgegorenen Drehbuch und einer routinierten, aber leidenschaftslosen Regie. Kann man schauen, muss man nicht, und wenn man es tut, wird man das meiste schnell vergessen. Das hätte nicht so kommen müssen. Man traut sich kaum noch, das in heutiger Zeit zu hoffen, aber wie wäre es mit einem Reboot mit gleichen Darstellern, aber etwas größeren Ambitionen?

Fazit

Die Simplifizierung der Themen von Stephen Kings opulenter Saga zu einem austauschbaren, 90-minütigen, leidlich unterhaltsamen 08/15-Actionfeuerwerk tut niemandem einen Gefallen und verschwendet die beiden gut besetzten Hauptdarsteller. Für die Kenner der Vorlage ist Der dunkle Turm ein Affront, der sein mangelndes Verständnis von dem, was die Romane ausmacht, durch lose zusammengewürfelte Versatzstücke aus mehreren Teilen der Reihe und Querverweisen zu anderen Stephen-King-Werken zu kaschieren versucht. Für alle anderen ist das rasante, sprunghafte Worldbuilding einfach nur wirr.

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