Dallas Buyers Club (2013)

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Dallas Buyers Club, USA 2013 • 117 Minuten • Regie: Jean-Marc Vallée • Mit: Matthew McConaughey, Jared Leto, Jennifer Garner, Steve Zahn, Denis O’Hare, Michael O’Neill • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 06.02.2014 • Deutsche Website

Unvergessen ist Tom Hanks‘ Darbietung des dahinsiechenden AIDS-Kranken in „Philadelphia“ (1993) und einem zum Soundtrack beigesteuerten Song vom „Boss“ Bruce Springsteen höchstpersönlich. Der Film traf den Zeitgeist, als AIDS noch eine große Nummer war. Nicht falsch verstehen – es ist nach wie vor ein ungelöstes Problem, dennoch hat das Thema durch Aufklärung und Forschung seine Brisanz im Laufe der Jahrzehnte ein wenig eingebüßt. In den von Unwissen und Angst geplagten 80ern noch keine Selbstverständlichkeit, ist mittlerweile ein Leben mit AIDS möglich und kein sofortiges Todesurteil mehr. Lange war das Drehbuch zu „Dallas Buyers Club“ fertig, wurde umgeschrieben und dann erneut fertiggestellt. Zwanzig Jahre nach „Philadelphia“ kommt hier eine Abrissbirne um die Ecke geflogen, sodass es im Hause von Vorurteilen, Lobbyismus und AIDS-Bewusstsein nur so kracht. Dabei bietet „Dallas Buyers Club“ andere Zugänge zum Thema als verwandte Filme und überzeugt völlig als Schauspiel-Kino so wie als Biopic eines amerikanischen Originals: Ron Woodroof.

Dallas Buyers Club (2013) Filmbild 1Dallas, 1985: Ron Woodroof (genial: Matthew McConaughey) ist ein texanischer Cowboy feinster Sorte. Ein Egozentriker, Lebemann und Schürzenjäger wie er im Buche steht mit allem was dazugehört: Sex, Glücksspiel, Alkohol, mal hier mal da Koks, Bullenreiten und homophob. Für problembehaftete Minderheiten hat er nur Abschätzigkeit auf Lager. Eines Tages erleidet der als Elektriker arbeitende Ron einen Arbeitsunfall. Als er im Krankenhaus aufwacht, wird ihm von Dr. Sevard (Denis O’Hare) und Dr. Eve Saks (mit viel Wärme: Jennifer Garner) eröffnet, dass er HIV positiv ist. Unter Protest, solch eine Krankheit sei nur was für Schwule, verlässt er lautstark das Krankenhaus, um kurze Zeit später nach Alkohol- und Sexexzessen bis an die Grenze erschöpft wieder eingeliefert zu werden. Die bewährten Verdrängungsmechanismen ziehen nicht mehr und er wird sich seiner Situation bewusst. Als Ron im Krankenhaus das in falschen Dosen schädliche Medikament AZT bekommt, lernt er den transsexuellen Rayon (exzellent: Jared Leto) kennen. Gemeinsam gründen sie den „Dallas Buyers Club“, um durch kostenpflichtige Mitgliedschaften anderen AIDS-Kranken  bessere, in den USA jedoch von der FDA (Food and Drug Administration) nicht freigegebene, Medikamente zu beschaffen. Dies geschieht zunächst viel eher rein aus einem egoistisch motivierten als altruistischen Interesse. Da das Geschäft mit der Beschaffungskriminalität brummt, treten die Pharmakonzerne der FDA auf den Schlips und diese tritt Ron und Rayon auf den Schlips. Ein Kampf für das Leben, um das Überleben und vor allem gegen die Verfehlungen der Pharma-Lobby beginnt.

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Dallas Buyers Club (2013) Filmbild 2Ein Cowboy – eine amerikanische Prototyp-Ikone – infiziert sich mit der „Schwulenkrankheit“, die daneben sonst nur fixenden Junkies und Gender-Verirrten vorbehalten ist. So wandelt sich der einstig schwulenfeindliche Arsch Ron Woodroof vom Unwissenden zum Wissenden, aus Unverständnis wird Verständnis. Gerade solch ein gefeiertes Ideal wird zur ikonischen Gallionsfigur im Kampf für AIDS-Bewusstmachung und zum Stachel im Hintern der Pharma-Lobby. Ron Woodroof steht mit dem Rücken zur Wand, hat nichts mehr zu verlieren und zieht eine gewiefte Wild-West-Nummer nach der anderen gegen alle Widrigkeiten durch; auch eine Form des amerikanischen Traums. Jeder Rückschlag wird mit einem Gegenschlag beantwortet. Jede neue Hürde macht ihn erfinderischer und hungriger. Gleichzeitig kämpft er mit dem eigenen, allgegenwärtigen Krankheitsverlauf (Einblendungen der überlebten Tage seit der Diagnose). Der in Dallas aufgewachsene Matthew McConaughey leistet hier eine bestechende Arbeit. Es war ein kluger Schachzug, für den Filmfans sicherlich dankbar sind, nach mehreren romantischen Komödien die Reißleine zu ziehen und die Karriere neu auszurichten. Klar, Filme wie „Die Jury“ zeigten ihn auch Jahre zuvor mit großem Potential, aber es lässt sich nicht leugnen, dass er daraufhin bis zur Kehrtwende auf einer allzu entspannten Welle surfte. Seitdem kommt McConaughey (Killer Joe, Mud) wie befreit, sehr spielfreudig und vor allem mit viel Willenskraft (25 kg Gewichtsverlust für „Dallas Buyers Club“) daher. Hauchdünne Drehbücher, Sonnenstudiobräune und Stemmbude wurden eingetauscht gegen herausfordernde Rollenangebote. Sein Ron ist ein Original und er schafft es, einen komplexen, eine Wandlung durchlaufenden Charakter – mit regionaler Texas-Attitüde – als ein doch erstaunliches, irgendwie liebenswertes Ekel darzustellen. Selbst wenn er im späteren Verlauf des Films für die Ehre seines Freundes Rayon einsteht, tut er dies als Cowboy, der er nun mal ist – unbestreitbar, unverbogen und echt. Hier werden keine gekünstelten Sympathieeffekte erhascht; an dieser Stelle wird Lob an Regie, Drehbuch und McConaughey gerichtet.

Dallas Buyers Club (2013) Filmbild 3Nach ungefähr 5 Jahren des Tourens durch die großen Konzerthallen dieser Welt, findet "30 Seconds to Mars"-Frontsänger, Hugo-Boss-Model und überhaupt Tausendsassa Jared Leto (Chapter 27, Lord of War) den Weg zurück zur Schauspielerei. Dies gelingt ihm als transsexuell-schwuler Rayon auch gleich mit einem nebendarstellerischen Hammerschlag. Jared Letos magere Physis (in "Chapter 27" hingegen 30 kg plus) steht der von McConaughey in nichts nach. Der hohe Gewichtsverlust hatte laut Leto eine besondere Wirkung auf seine Gestik und seine Stimmlage, was ihm die Fokussierung und das Hervorheben Rayons weiblicher Seite erleichterte. Seine Darbietung ist das Schmiermittel in der launischen Hassliebe zwischen Ron und Rayon. Jeden Ball den Ron schlägt, schmettert Rayon zielsicher zurück und bringt dadurch maßgeblich Rons Mauern der Verachtung zum Bröckeln (Jennifer Garner bringt bravourös den Rest als warmherzige Ärztin). Gleichzeitig gerät Rayons Verletzlichkeit nicht unter die Räder und ihm gehört in dem doch eher mit distanziertem Blick fotografierte Film ein, zwei der rar gesäten emotionalen Höhepunkte. Bitte hier genau hinschauen, denn da verblüfft der multitalentierte Leto in flüchtigen Sekunden bis zur Ekstase. Beim gekonnten Zusammenspiel sorgen Hauptdarsteller und Nebendarsteller zwischendurch auch für klasse Comedy-Relief. Die Oscarnominierungen für die beiden Darsteller sind überaus verdient.

Dallas Buyers Club (2013) Filmbild 4Auf der technisch-handwerklichen Seite wird mit einfachen Tricks und Kniffen eine große Wirkung erzielt. Der Regisseur Jean-Marc Vallée und der Kameramann Yves Bélanger sind bereits ein eingespieltes Team, weil sie sich von diversen Musikvideoproduktionen kennen. Sie schaffen es, „Dallas Buyers Club“ einen geerdeten, authentischen Look durch den Verzicht auf Kamera Dollys, oder beispielsweise künstliche Lichtquellen zu geben. So distanziert der Blick, so trägt er doch der ernüchternden Sachlage Rechnung. Das funktioniert sehr gut und schmiegt sich super in die Zielvorstellungen und die Geschichte des Films ein. Trotz der Distanz packt das Sahne-Gespann um Jared Leto und Matthew McConaughey seine Zuschauer – ohne dabei sich anbietende Tränendrüsen-durchspülende-Momente auszuschlachten. Nein, dieser Film geht in dieser Hinsicht nicht in die Vollen wie „Philadelphia“, macht aber Diskriminierung und Verachtung für Schwule und AIDS greifbar.

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