"Daredevil"-Star Charlie Cox im Interview: "Daredevil und der Punisher können nicht co-existieren"

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Charlie Cox Interview Daredevil

Letzte Woche hatte ich die einzigartige Gelegenheit, nach Paris zu reisen und dort die Jon Bernthal, Élodie Yung sowie den Hauptdarsteller Charlie Cox zum Start der 2. "Daredevil"-Staffel zu interviewen.

Nach dem Interview mit Elektra-Darstellerin Élodie Yung geht es mit einem sehr interessanten Gespräch mit Charlie Cox weiter. Der große Durchbruch des Engländers hätte eigentlich 2007 kommen müssen, als er in der Hauptrolle von Matthew Vaughns Neil-Gaiman-Verfilmung Sternenwanderer (mein Lieblingsfilm von 2007!) zu sehen war. Doch leider ging der wunderbare Fantasystreifen an den Kinokassen unter und der Charlie Cox' Star schoss nicht so schnell in den Hollywood-Himmel, wie erhofft. Er bekam jedoch eine weitere Chance, als er einige Jahre später in Martin Scorseses Serie "Boardwalk Empire" als Nuckys Bodyguard und Fahrer Owen Sleater besetzt wurde. Es war vermutlich auch diese Rolle, die die Produzenten von "Marvel’s Daredevil" darauf gebracht hat, ihm die Rolle des blinden Superhelden anzuvertrauen. Cox brauchte nicht lange, um die Zuschauer Ben Afflecks Daredevil-Darbietung vergessen zu lassen und ihn als den definitiven Matt Murdock/Daredevil zu akzeptieren.

In unserem Interview sprachen wir über den Misserfolg von Sternenwanderer, die Herausforderungen von Daredevil in der zweiten Staffel, Superhelden im modernen Kontext und das sehr heiße Daredevil-Kostüm. das in einer bestimmten Szene seine Performance unabsichtlich verbesserte…

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Filmfutter: Wie entwickelt sich Daredevil in der zweiten Staffel und was mochtest Du an seiner Entwicklung besonders?

Charlie Cox: Was ich an Daredevil liebe, ist, dass er seine inneren Fehler, sein Temperament und seine Sturheit besiegen muss. Zu Beginn dieser Staffel ist Matt arrogant und übermäßig selbstsicher und er wird sehr schnell auf den Boden der Tatsachen gebracht. Er muss um Hilfe bitten. Eins der größten Probleme unserer Gesellschaft ist, dass es jungen Männern wirklich fremd erscheint, zuzugeben, wenn sie Hilfe benötigen. Wir versinken zu schnell im machohhaften Gehabe, aber das ist nicht realistisch und nicht menschlich. Wir brauchen alle einander.

FF: Was ist die größte Herausforderung für Daredevil in dieser Staffel: der Punisher, Elektra oder seine Beziehung zu Karen?

CC: Ich denke in dieser Staffel geht es um die Summe all dieser Dinge. In der ersten Season hatte Daredevil nur ein einziges klares Ziel vor Augen und richtete seinen Fokus auf diesen einen Mann. Er glaubte, dass wenn er ihn drankriegen und vor Gericht bringen könnte, sich der Rest von alleine fügen würde. In dieser Staffel kommen die Probleme von allen Seiten auf ihn zu. Er muss sich mit Frank Castle, Elektra, den Iren, den Dogs of Hell, später auch mit The Hand und anderen Organisationen, die ich nicht erwähnen werde, herumschlagen. Seine Arroganz lässt ihn glauben, dass er an allen Fronten kämpfen könnte, dass er nachts als Daredevil und tagsüber im Gerichtssaal als Matt Murdock agieren könnte. Es überwältigt ihn schließlich und er verliert die Kontrolle. Dieses langsame Zerbröckeln seiner Selbstsicherheit und der Zusammenbruch seines Egos bis zu dem Punkt, an dem er erkennt, dass er Hilfe benötigt, sind seine Herausforderungen.

FF: Physisch scheint die Kampfszene im Treppenhaus in Folge 3 eine immense Herausforderung gewesen zu sein. Wie viele der eigenen Stunts konntest Du selbst ausführen?

CC: Es war sehr hart, aber es hat auch Spaß gemacht. Es ist eine Hommage an die Kampfszene im Hausflur in der ersten Staffel. Es ist fast genau ein Jahr später und ich war diesmal in der Lage, viel mehr davon selbst auszuführen. Ich habe trainiert, ich habe gelernt und ich wurde besser. Die Kampfszene in Staffel 1 wurde sehr früh zu Beginn der Dreharbeiten gedreht. Mein Stunt-Double Chris Brewster hat damals fast alles an meiner Stelle gemacht. Diesmal bin ich es selbst in vielen dieser Szenen. Die große Herausforderung war es, es im Kostüm zu tun. So cool der Outfit auch ist, mein Gott war es darin heiß! Dazu habe ich eine kleine Anekdote. Es gibt eine Szene in der vierten Folge, in der Frank Daredevil eine Geschichte aus seinem Leben erzählt. Es ist eine emotionale Szene für Jon (Bernthal) und ich erinnere mich, an dem Tag gedacht zu haben, dass meine Aufgabe als Schauspieler es sei, einfach zuzuhören. Als die Szene im Kasten war, kam einer der Produzenten auf mich zu und meinte, ich sei großartig darin gewesen. Ich meinte nur: "Moment, ich habe doch nicht gemacht, nur zugehört." Und er sagte: "Ja, aber genau im richtigen Moment hast du geweint. Es gab eine einzelne Träne , die deine Wange runterrollte." Ich konnte mich absolut nicht daran erinnern, also sah ich mir die Aufnahme an und er hatte tatsächlich Recht! Ich dachte, ich musste mich wohl wirklich emotional verbunden gefühlt haben. Aber dann fiel mir ein, dass bevor wir diese Szene drehten, ich Jon den Hügel hinauf tragen musste und ich dabei in dem Kostüm so unglaublich geschwitzt habe, dass ein wenig von dem Schweiß sich in der Maske sammelte und mein Gesicht runterlief, so dass es aussah, als hätte ich geweint. (lacht) Wenn das die Szene ist, die sie bei den Emmys spielen, dann ist sie komplett falsch! (lacht)

Charlie Cox Interview Daredevil 1

FF: Noch mehr als die erste Staffel fühlt sich die zweite Staffel wirklich anders an als das große Marvel-Kinouniversum. Die Serie ist düster, dreckig und weitgehend bodenständig. Ich finde das klasse, aber wie bringt man es unter einen Hut, dass der Realismus und die Moralfragen der Serie sich im gleichen Universum befinden, in dem Städte in die Luft gehoben werden und es einen sprechenden Waschbär gibt?

CC: Es ist toll, dass Du as so siehst, weil das die gesamte Idee dahinter war, diesen Charakter bei Netflix unterzubringen. Es gibt uns die Möglichkeit, wirklich komplexe und intelligente Themen und Konzepte zu erforschen und dabei einen düsteren Ton anzunehmen. Dafür lobe ich das Studio sehr. Ich glaube nicht, dass es eine einfache Entscheidung war, mit der alten Tradition zu brechen. Diese Tradition gab es auch aus einem sehr guten Grund, denn wenn man etwas mit Superhelden macht, dann ist das Letzte, was man tun will, Kinder und Jugendliche auszuschließen. Sie sind – oder waren zumindest – das größte Zielpublikum. Aber wenn man als Fan der Comics aufwächst, verliert man in der Regel nicht die Affinität für die Charaktere und die Freude, die man daran früher hatte. Man wächst aus so etwas nicht heraus. Und wenn man zu einer Comic-Convention geht, merkt man, dass von 130.000 Besuchern, 115.000 Erwachsene sind. Sie wachsen mit diesen Charakteren auf, sie lieben sie und sie bleiben ihnen wichtig. Das ist eine Serie für die Fans von Daredevil aus den Sechzigern, Siebzigern, Achtzigern oder sogar Neunzigern, die heute 40, 50 oder 60 sind. Sie wollen eine Serie sehen, die ihre Intelligenz nicht beleidigt. Ich sage nicht, dass die Marvel-Filme es tun, doch sie sind deutlich weniger explizit, was Gewalt angeht, und ihre Themen eignen sich für ein viel jüngeres Publikum.

FF: Indem der Punisher in der Serie die Bühne betritt, erforscht die Serie einige heikle Themen, wie das Bild des einsamen Schützen. Wenn man bedenkt, dass es eine US-amerikanische Serie ist, denkst du, dass es eine bewusste Entscheidung war?

CC: Ich denke, das muss sie gewesen sein. Eins der Themen, über die die Zuschauer nach der Serie hoffentlich reden werden, ist das Waffengesetz. Und dann, wenn The Hand später auftaucht, bringt das eine Reihe anderer Themen mit sich, die den Nerv treffen und aktuell sehr prävalent sind. Letzten Endes ist das Fernsehen aber eine Unterhaltungsform und im besten Fall kann man Themen behandeln, die die Menschen hoffentlich zum Nachdenken bringen. Aber es darf nicht unerträglich intellektuell sein. Es gibt einen schmalen Grat, auf dem man sich befindet. Manchmal wollen Leute einfach nur unterhalten werden, ohne dass man mit einer Botschaft auf sie einhämmert.

FF: Glaubst Du, dass es eine Welt gibt, in der der Punisher und Daredevil co-existieren können und jeder der beiden sein Ding durchzieht?

CC: Das ist eine großartige Frage, die man mir bislang nicht noch gestellt hat… (pausiert) Mein Instinkt sagt nein. Ich denke nicht, dass Matt weiter Daredevil bleiben kann, wenn Frank weiter so vorgeht, wie er es tut. In der Welt von unserer Serie ist es etwas, das Matt nicht ertragen könnte. Matt war in der Lage, mit sich selbst zu vereinbaren, was er ist und was er tut. Er hat mit seinen eigenen Dämonen aus der ersten Staffel Frieden geschlossen. Er konnte das tun, indem er sich eine klare Grenze setzte. Er würde nicht töten. Das ermöglicht ihm das zu tun, was er tut. Wenn Frank Castle aber existiert und essentiell die gleiche Person ist, die aber Menschen tötet, dann hat Karen Page Recht, wenn sie sagt, dass Daredevil solchen Leuten die Tür geöffnet hat. Ich denke nicht, dass Matt das akzeptieren könnte, denn es würde ihn zu Gott machen.

Auf Seite 2 geht es um Vincent D’Onofrios Wilson Fisk, die Ensemble-Serie "The Defenders" und Daredevils "Batman"-Stimme.