“Breaking Bad” S05E16 “Felina” Kritik

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ACHTUNG, dieser Beitrag enthält massive Spoiler zu der aktuellen Episode 5×16, “Felina”!

Das war sie also, die letzte Etappe in der langen Tour der Leiden, der Abgesang auf Walter White. Eine lange Odyssee liegt hinter uns, und sie endet, wie sie begonnen hat: mit Jesse und Walter, die sich in einer der letzten Einstellungen gegenüberstehen und bedeutungsvolle Blicke zuwerfen, wie in der Pilotfolge. Ein weiterer Nachweis für die immense Bandbreite an metaphorischer Erzählsprache in Breaking Bad. Es war ein versöhnlicher Abschluß für alle Figuren, für Walter, Jesse, Skyler und Flynn, nun, zumindest unter Rücksichtnahme der herben Verluste, die sie alle verkraften mussten.

Walters Erlösung in der finalen Episode "Felina", ein Anagramm für Finale, beginnt im Hause Schwartz, als er Gretchen und Elliot für seinen perfiden Plan einspannt, um Flynn und die Famile nach seinem Tod finanziell abzusichern. Ehe man den Eindruck erhält, dass der skrupellose Heisenberg Walt nun endgültig übermannt hat, stellt sich schließlich heraus, dass für Gretchen und Elliot, die von Walter bedroht werden, nie eine ernsthafte Gefahr bestand. Es war Walters Art, mit seiner Vergangenheit bei Grey Matter abzurechnen und der Auftakt seiner Selbstfindung in dieser Episode.

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Breaking Bad fuhr in der letzten Folge noch einmal all seine schweren Geschütze auf, die die Serie über fünf Jahre ausgeziechnet haben: fesselnde Dramaturgie, ergreifende, sentimentale Momente, reißende Action, kraftvolle Symbolik, intelligente Twists und – nicht zuletzt – Humor! Bevor in dieser Episode der Ton in Wehmut und Rührung umschlägt, überfällt uns Vince Gilligan in emotional aufgeladenen Momenten einmal mehr mit amüsanten Einschüben, als beispielsweise Elliot völlig konsterniert ein Küchenmesser auf Walter richtet und Walter feststellt: "Elliot, if we’re gonna go that way, you’ll need a bigger knife." Oder Badgers ond Skinny Petes moralische Skrupel wegen der roten Laserpointer, die ein Scharfschützengewehr simulieren sollen: Badger: "Whole thing felt kind of shady – morality wise" – (Walter reicht den beiden zwei Bündel Geldscheine) Walter: "How do you feel now"? – Skinny Pete: "Better" – Badger: "Yeah, definetly improving". Schön auch, dass Badger und Skinny Pete völlig unverhofft doch noch ein kurzer Auftritt vergönnt blieb.

Auf zum nächsten Plot-Point: Es wird merklich ruhiger, Walter wirkt in sich gekehrt, dabei aber souverän und völlig sicher in dem, was er tut:  Er sucht Todd und Lydia im Restaurant auf und löst endlich das sagenumwobene Rätsel um das Päckchen Rizin, das er im Flash-Forward von Folge 5×09 "Blood Money" aus der Steckdosenabdeckung hervorgeholt hat. Spätestens als Lydia ihren Süßstoff in den Tee mischt und die Kamera senkrecht auf die Tasse zuhält, dämmert es dem letzten Zuschauer, dass Lydia bald ihrem Schöpfer gegenübertritt. Die Autoren haben sich an Lydias Vorliebe für Stevia (Süßkrautpulver) erinnert, vielleicht sogar bewusst in einer der vergangenen Folgen platziert, um diesen Punkt wieder hervorzuholen – ein raffinierter Schachzug. Wie Walter das Rizin jedoch in das versiegelte Päckchen Stevia hineinbekommen hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Das Gespräch mit Lydia und Todd inszeniert er, um sich später Zugang zu dem Nazicamp zu verschaffen. Die Weichen für den großen Showdown sind gestellt.

Bevor Walt emotional bereit ist, seine letzte Reise anzutreten, muss er ein letztes Mal seiner Familie gegenübertreten. Er bietet Skyler einen Ausweg an: der Lottoschein mit den GPS-Koordinaten für Hanks Grab soll ihr dabei helfen, sich von ihrer Schuld freizukaufen. Als er die Motive seiner Handlungen erklären will und Skyler dazwischengrätscht ("If I hear one more time that you did this for the family…") folgt ein großer Moment der Selbstreflexion, Walters Eingeständnis: "I did it for me. I liked it. I was good at it. I was really… alive." Endlich begreift er, was ihn innerlich korrumpiert hat, endlich ist er ehrlich mit sich selbst und auch mit Skyler. Es ist viel zu spät, um von seinen Sünden erlöst zu werden, aber es reicht, um Skylers Mitgefühl zu wecken. Hierauf folgt der wohl ergreifendste Moment der Folge, als Walter ein letztes Mal seine Tochter Holly streichelt und Skyler sich schluchzend noch ein ganz kleines Lächeln abgewinnen kann. Eine rührselige Szene, die das ganze Ausmaß der Tragödie allegorisiert.

Dann schlägt Walt das letzte Kapitel in seinem Leben auf, er wagt sich mit seiner Maschinengewehr-Apparatur im Kofferraum in die Höhle des Löwen – dem Clubhaus der Nazis. Im Glauben, dass Jesse mit den Nazis aus freien Stücken kollaboriert, plant er ein Massaker, das niemand überleben sollte. In dem Moment, als er begreift, dass Jesse gefangen gehalten wird, entscheidet sich Walter in Sekundenschnelle, Jesses Leben zu verschonen und stürzt sich wie ein Berserker auf ihn, bevor er das Maschinengewehr per Fernsteuerung auslöst. Eine packende Szene! Danach legt Walter sein Leben in Jesses Hände, überträgt ihm die Verantwortung und weist die Schuld an seinem eigenen Tod scheinbar von sich, wie bereits in "Ozymandias", als er emotional nicht in der Lage war, die Schuld an Hanks Tod auf sich zu nehmen und stattdessen in Jesse einen Sündenbock fand. Ein Déjà-vu? Doch etwas hat sich in ihm verändert. Jesse zwingt ihn, eine Entscheidung zu treffen ("Say you want this!"), und Walter weist die Verantwortung dieses Mal nicht von sich, er erwidert mit vollster Überzeugung: "I want this!". Ein ganz starker selbstreflektiver Moment. Bevor es zu Ende geht und Jesse davonfährt, treten sich die beiden noch einmal gegenüber, sehen sich in die Augen und nicken kurz. Jesse hat Walter, ähnlich wie Skyler, bis zu einem gewissen Grad und mit dem Wissen, dass Walter stirbt, vergeben. Walter schläft schließlich selig und zufrieden an dem schönsten Ort ein, den er sich für sein Ende vorstellen kann: ein Chemielabor. Jesse hingegen ist frei und lässt seinen aufgestauten Gefühlen aus Freude, Wut und Trauer in einer emotionalen Eruption freien Lauf. Ein versöhnlicher und verdienter Abschluß für den wohl sympathischsten Charakter der Show.

Es war ein würdiges Ende einer ganz besonderen Serie, die uns von Tag 1 an mit komplexer Figurenzeichnung, Spannung, Humor, Thrill und Metaphorik begeistert hat. Vielen Dank Vince Gilligan und der gesamten Crew von Breaking Bad für fünf wunderbare Jahre.

Überblick der Rezensionen
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