Boyhood (2014)

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Boyhood (2014) Filmkritik

Boyhood, USA 2014 • 163 Min • Regie: Richard Linklater • Mit: Ellar Coltrane, Ethan Hawke, Patricia Arquette, Nick Krause, Sam Dillon, Tamara Jolaine • FSK: n. n. b. • Kinostart: 5.06.2014

„Jeder Idiot kann Bilder machen. Kunst zu machen ist schwer.“, sagt eine Lehrerin dem jungen Hauptcharakter, den Richard Linklater über 10 Jahre während des titularen Lebensabschnitts beobachtet. Ein Rat, den der Regisseur selbst gebraucht hätte. Linklater jedoch ignoriert beharrlich die abgenutzte Weisheit, die er den Protagonisten auf ihren Weg mitgibt. Es ist ein langer Weg, ein sehr langer. Dies gilt für die Dauer des Films, in weit größerem Maße aber für die der Inszenierung. Sie begann 2002 damit, dass der 7-jährige Mason (Ellar Coltrane) und seine dickköpfige Schwester Samantha (Lorelei Linklater, deren Tochterrolle auf der Leinwand eine kalkulierte Referenz zu ihrer realen Rolle als Linklaters Tochter ist) aus dem Haus ihrer frühen Kindertage nach Houston ziehen. Ihre alleinerziehende Mutter Olivia (Patricia Arquette) will näher bei der Großmutter sein, um Studium, Finanzen und Familienfragen besser auf die Reihe zu kriegen. Diese indirekte Schutzsuche in der Nähe der Eltern macht mit ein bisschen Küchenpsychologie offenbar, dass Olivia innerlich genauso unvorbereitet für das Erwachsenendasein ist wie der sporadisch auftauchende Vater Mason Sr. (Ethan Hawke).

Boyhood (2014) FilmkritikEr klammert sich weiterhin an seine Illusionen von einer Karriere als Musiker; eine künstlerische Ambition, die sich Jahre später in den photografischen Gehversuchen seines Sohnes widerspiegelt. Die Parallelen, die der episodische Plot zwischen Einst und Jetzt zieht, sind so offenkundig, dass es ihre Signifikanz eher untergräbt als zu unterstreichen. So banal ist die Entwicklung der Geschichte und ihrer Figuren, dass alles vermeintlich psychologisch Angebahnte ebenso gut reiner Zufall sein könnte. Die Belanglosigkeit des filmischen Familienalbums voll sentimentaler, intimer und, da dies in keiner dramatisierten Dia-Show fehlen darf, melancholischer Aufnahmen findet ihr adäquates Pendant in den turnusmäßig eingeworfenen populärkulturellen Fanalen. Wichtiger als ihre Funktion als chronologische Marksteine ist die als Köder für das Publikum, sich zu identifizieren: mit den Figuren, vor allem aber mit der Zeit, die der wahre Hauptakteur ist. Der erste Band „Harry Potter“, den die Mutter vorliest, führt dazu, dass alle schließlich um Mitternacht Schlange stehen, um einen der Folgebände zu erwerben. Weil es in der Welt da draußen noch ernstere Auseinandersetzungen gab als die des Zauberschülers, fallen bisweilen ein paar Worte über den Irak-Krieg. Ansonsten laufen Coldplay und irgendwann sogar Gotyes „Somebody that I used to know“.

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Der Pop-Hit ist symptomatisch für Linklaters panische Angst, nur einen einzigen Kinozuschauer zeitgeschichtlich zu überfordern. Mit dieser Strategie sichert sich der Filmemacher, der bereits in seiner „Before“-Trilogie die Sperenzien der gutsituierten weißen Mittelschicht romantisierte, zumindest Nostalgie-Punkte bei den Zuschauern, die sich im Dunkeln zuraunen dürfen: „Oh klar, erinnerst du dich noch wie damals…?“ Um fast drei Stunden Laufzeit auszufüllen, genügen solche Beiläufigkeiten allerdings genauso wenig wie die Alltäglichkeiten des Plots. Dass letzter um eine epische Sozialsaga interessant zumachen, nicht völlig unerheblich ist, hat Linklater vor Vernarrtheit in sein Projekt, das sich als zweitlängstes zwischen Lars von Triers „Nymphomaniac“ mit 145 Minuten und „Die Geliebten Schwestern“ Dominik Grafs mit 170 Minuten behauptet, anscheinend aus dem Blick verloren. Das passiert schon mal auf einem so fest getretenen Weg. Wenn er das Ziel war, ist Linklater immerhin angekommen – wenn auch andere längst vor ihm dort waren. Michael Apteds Doku-Serie „Up“, Francois Truffauts fiktionale Biographie seines Alter Egos Antoine Doinel in fünf Spielfilmen über 20 Jahre befassen sich ungleich ergiebiger mit der Unbeständigkeit des Status Quo und der Vergänglichkeit der Jugend.

Fazit

Gefühlt dauert das Prestigewerk noch länger als sein Dreh. Ein Sinnieren über Zeit weckt es nur insofern, als dass man sich wünscht, etwas Besseres mit der eignen anzufangen. Darum werde auch ich jetzt hier nicht weiterschreiben. „Boyhood“ hat schon genug Zeit gekostet.