"Better Call Saul" S01E05 "Alpine Shepherd Boy" Kritik

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Better Call Saul Alpine Shepherd Boy Kritik

Der Artikel enthält einige “Better Call Saul”-SPOILER zur besprochenen Folge!

Need a will? Call McGill!

"Better Call Saul" war also nicht Jimmy McGills erster einprägsamer Slogan, wie wir in der fünften Folge der ebenso betitelten Serie erfahren haben. Nachdem die letzte Folge mich leicht enttäuscht zurückließ (wobei hier auch angemerkt werden muss, dass "Better Call Saul" vermutlich ungerechterweise an einem anderen Standard gemessen wird, als die meisten anderen Serien), bietet die neuste Episode wieder Humor und Drama in gleichen Mengen, auch wenn die beiden Elemente ein wenig wie Öl und Wasser separat gehalten werden. Der Fokus der Folge wechselt nicht nur zwischen lustig und ernst, sondern auch zwischen den Charakteren. Die einzelnen Bestandteile sind für sich genommen fantastisch, doch der Fluss der Episode ist dadurch etwas beeinträchtigt und die Folge wirkt dadurch zerfahrener als alle bisherigen.

Das klingt negativer als es sollte, denn zu keinem Zeitpunkt gibt es in der Folge Leerlauf und die Entwicklung aller Charaktere wird sorgfältig vorangetrieben. In Erinnerung wird den meisten jedoch der Auftakt nach dem Vorspann bleiben, als Jimmy die durch seine "Rettungsaktion" in der letzten Folge potenziell neugewonnenen Kunden besucht, nur um schnell die Lektion zu lernen, dass verrückte Publicity-Stunts auch allerlei verrückte Klienten anlocken. Da ist zunächst einmal der durchgeknallte ur-amerikanische (zwei Hummer vor dem Haus!), Großwild jagende Libertarier und Sezessionist Ricky Sipes, der mit Jimmys Hilfe einen eigenen Staat gründen möchte (das "Vatikan" der Vereinigten Staaten, wie Sipes es ausdrückt). Keine Idee ist für Jimmy zu verrückt, wenn das Honorar stimmt und Sipes bietet ihm eine Summe an, die er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte. Odenkirks Mimik in dem Moment ist einfach unbezahlbar, doch dann erlebt Jimmy sein blaues Wunder.

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Als nächstes an der Reihe ist ein Familienvater, der ein Patent anmelden möchte, und wirkt auf den ersten Blick eigentlich so, als könnte Jimmy endlich einen "normalen" Klienten an der Angel haben. Doch sobald man sieht, dass das in Frage kommende Objekt vorerst unter einer Plane versteckt ist, ahnt man nichts Gutes. Sofort wurde in mir die Erinnerung an eine Szene aus Burn After Reading wach, in der George Clooneys Figur Frances McDormand seine ganz spezielle Erfindung im Keller zeigt. Ich lag nicht ganz daneben. Doch während Clooneys "Dildo-Stuhl" einen ganz klaren Zweck hatte, nimmt der Erfinder der sprechenden Toilettenschüssel (!!) die sexuelle Konnotation (!!!) seiner teuflischen Schöpfung einfach nicht wahr, was die Situation umso lustiger macht. Ich kann mich nicht entscheiden, ob es die Erfindung selbst ("It is really big, Chandler. Fill me up, Chandler") oder der entgeisterte Gesichtsausdruck von Bob Odenkirk in dieser grandiosen Szene ist, der dafür verantwortlich war, dass ich nach der Szene erst einmal pausieren musste, um minutenlang zu lachen. Eins ist sicher: dies ist vermutlich die schlechteste Erfindung in der langen und verrückten Geschichte von schlechten Erfindungen in Filmen oder Serien.

Better Call Saul Alpine Shepherd Boy Kritik 2

Die ersten beiden Klienten, die Jimmy besucht, stellen den humoristischen Gipfel der Serie bis dato dar und heben alleine schon die Folge über das Niveau der letzten. Jimmy kann jedoch darüber nicht lachen. Ist sein genialer Plan vielleicht doch nicht so aufgegangen, wie er es wollte? Als er schließlich im Haus einer qualvoll langsamen, aber netten alten Dame sitzt, für die er ihr Testament aufsetzen soll, hat er die Hoffnung schon beinahe verloren, tatsächlich zahlende Kunden für sich zu gewinnen. Doch siehe da, die Seniorin zählt langsam aber sicher das verlangte Geld ab und Jimmy kann auf die ersten tatsächlichen Früchte seiner Vermarktung blicken. Eine Nische ist gefunden – Jimmy spezialisiert sich auf das Seniorenrecht und schaut sich dazu sogar "Matlock" an, um sich von Andy Griffiths Kleidungsstil Notizen zu machen und so bei der älteren Generation besseren Eindruck zu erwecken. Okay, die Idee der Spezialisierung kam Jimmy eigentlich nicht sofort, sondern er wurde von Kim während einer Pediküre-Session darauf gebracht. Die Szene selbst ist der intimste Moment, den die beiden bislang teilen durften und ich bleibe bei meiner früheren Aussage: die Chemie zwischen Rhea Seehorn und Bob Odenkirk stimmt!

Nach den urkomischen Klientenbesuchen von Jimmy, schaltet die Folge einige Gänge runter und wendet sich ernsten Dingen zu: Jimmys Bruder Chuck und seiner Störung. Im Prolog zur Folge, wurde der elektromagnetisch hypersensitive Chuck nach seinem Zeitungsdiebstahl aus letzter Folge und aufgrund seines auf die Beamten seltsam wirkenden Verhaltens verhaftet und dabei getasert – der größte Albtraum für Chuck wurde wahr (die US-Cops setzen ihre Taser scheinbar wirklich locker ein). Jimmy eilt gemeinsam mit Kim ins Krankenhaus, wo eine Ärztin (Clea DuVall, die ich schon lange nicht mehr im Kino oder im Fernsehen gesehen habe) vorschlägt, Chuck für 30 Tage in eine psychiatrische Klinik einzuweisen. Ihrer Ansicht nach ist sein Zustand rein psychosomatisch und durch einen leichten Trick führt sie Jimmy die Bestätigung für ihre Annahme vor. Jimmy steht nun vor einem schweren Dilemma. Er kann oder will nicht wahrhaben, dass sein einst brillanter Bruder, gewissermaßen sein Idol, psychisch krank ist Vermutlich wusste er das schon die ganze Zeit, verdrängte aber die Wahrheit. Zudem hat er die Befürchtung, dass Chucks Einweisung ihn psychisch komplett zerstören würde. Die Einweisung würde für ihn einem Verrat an der Person gleichkommen, die ihn vermutlich in Vergangenheit häufig aus dem Dreck gezogen und an ihn geglaubt hat. Andererseits würde die Einweisung Chucks Jimmy einen Sieg gegen Hamlin, Chucks schmierigen Ex-Partner aus der Kanzlei, verschaffen, denn dann könnte Jimmy als Chucks Vormund Hamlin zum Auszahlen von Chucks Anteil zwingen. Natürlich entscheidet sich Jimmy für seinen Bruder und gegen die Einweisung, doch man merkt, dass nach dem Gespräch mit der Ärztin immer mehr Zweifel an Jimmy nagen.

In den letzten Minuten der Folge wechselt ihr Fokus abermals, diesmal auf Mike. Es sieht ganz danach aus, als dürfte seine Figur demnächst mehr als nur sich mit Jimmy kabbeln und den gelegentlichen guten Ratschlag verteilen. Wir folgen Mike bei seinem tristen Alltag (die Nacht durcharbeiten, einsam im Diner essen, in der spartanisch eingerichteten Wohnung fernsehen) und sehen, wie er eine junge Frau beobachtet, die seine Anwesenheit bemerkt. Lange Blicke, jedoch keine Worte folgen. Mike bleibt seiner schweigsamen Natur treu. Gerade wenn es richtig spannend wird, hört die Folge natürlich auch auf, doch ich bin froh darüber, dass Mike offensichtlich bald eine deutlich größere Rolle spielen wird, die nicht nur mit Jimmy zusammenzuhängen scheint.

Eine Frage, die sich natürlich viele während Mikes Szenen stellten, ist, wer die von Mike beobachtete Frau (Kerry Condon) ist. Die erste Vermutung wäre, dass es Mikes Tochter und die Mutter von seiner Enkelin Kaylee ist, doch es spricht auch etwas dagegen. Erstens trägt Kaylee Mikes Nachnamen, Ehrmantraut. Wenn sie diesen von ihrem Vater hat, dann hat oder hatte Mike einen Sohn. Außerdem habe ich mich an ein Interview von Jonathan Banks mit "Rolling Stone" (hier nachzulesen) erinnert, in dem der Schauspieler selbst mutmaßt, dass Mike keine Tochter, sondern einen Sohn hatte und was auch immer mit dem Sohn passiert sei, habe Mike vom rechten Weg abgebracht. Ist es also Mikes Schwiegertochter gewesen? Bald werden wir es erfahren und lernen vermutlich auch Mikes düstere Vergangenheit kennen.

Übrigens kann ich mir keinen Reim auf den Originaltitel der Folge ("Alpine Shepherd Boy") machen, die auf Deutsch "Schäferbub" heißt. Alle bisherigen Folgentitel der Serie ("Uno", "Mijo", "Nacho", "Hero") sowie alle noch kommenden bestehen aus einem Wort und dieses endet immer mit einem "o". Ursprünglich hieß die fünfte Folge "Jello" und hätte damit auch in das Muster gepasst. Dies änderten die Macher, in Anspielung auf die Hummel-Figuren der alten Dame. Wenn Gilligan und Gould jedoch so eine Änderung vornehmen, müssen sie sich sicherlich was dabei gedacht haben, doch mir fallen dazu spontan keine Theorien ein. Haben die Codeknacker unter Euch Ideen?