Am Sonntag bist du tot (2014)

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Am Sonntag bist du tot (2014) Filmkritik

Calvary, GB/IE 2014 • 105 Min. • Regie: John Michael McDonagh • Mit: Brendan Gleeson, Kelly Reilly, Chris O’Dowd, Aidan Gillen, Domhnall Gleeson, David Wilmot, Dylan Moran • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 23.10.2014 • Deutsche Webseite

Die Kirche und die christliche Glaubensgemeinschaft in Europa wurden durch einen Missbrauchsfall nach dem anderen erschüttert. Schon bald wurden Fragen laut, was tradierte Institutionalisierungen von Enthaltsamkeit in der heutigen Zeit noch verloren hätten. Viel lauter wurde die Frage, wie man den Opfern dieser Gräuel gerecht werden kann. In der bitteren Schuld-und-Sühne-„Komödie“ wird diese Frage harsch und auf groteske Weise angegangen, denn ein irischer, gutherziger und vor allem unschuldiger Priester einer kleinen Küstengemeinde soll für die Sünden anderer Menschen sterben. Noch eines vorneweg: Der deutsche Titel „Am Sonntag bist du tot“ gaukelt in diesem Zusammenhang viel mehr schwarze Komödie vor, als dieser Film eigentlich bietet. Besser beschrieben als starkes Charakterdrama mit eingestreuten schwarzen Spitzen, die so bitter und so giftig sind, sodass ein Lachen manchmal schwerfällt, aber doch nötig ist.

Am Sonntag bist du tot (2014) Filmbild 1 In dieser streitlustigen Gemeinde leistet Dorfpriester James Lavelle (Brendan Gleeson) seinen störrischen, stoischen Dienst. Manchmal etwas genervt ob der Streitigkeiten, doch stets unbeirrt, kümmert er sich um seine Leute. Bei der Beichte droht ihm doch jemand damit, den Priester am Sonntag in einer Woche umzubringen. James Lavelle soll als unschuldiger Sündenbock für die Taten eines mittlerweile toten Geistlichen herhalten, der den mordlustigen Beichtgänger missbraucht haben soll. Ein Mord an einem schuldigen Arsch von Priester sei kein Zeichen, aber einen unschuldigen Priester zu ermorden, das sei eine Ansage. Der konsternierte Priester hält am Beichtgeheimnis fest, begibt sich selbst auf die Suche nach dem vermeintlichen Mörder und übt gleichzeitig weiter seine pastoralen Pflichten aus, weil das Wohlergehen seiner Gemeinde ganz oben steht, obwohl die eigene Trauer um einen alten Verlust an ihm nagt und seine angeknackste, labile Tochter auch seine volle Aufmerksamkeit benötigt. Die ereignisreiche Woche vergeht schnell, in welcher der ambitionierte Priester seine Angelegenheiten auf die Reihe kriegen möchte, um dann am Sonntag seinem Schicksal entgegenzutreten; keine Integrität zu haben, sei das schlimmste Urteil, was der Priester selbst über jemanden fällen könnte.

Am Sonntag bist du tot (2014) Filmbild 2Regisseur John Michael McDonagh besetzt die Hauptrolle in „Calvary“ wieder mit dem fantastischen, brachialen, wuchtigen, angekratzten Brendan Gleeson, der spätestens jetzt und längst überfällig die ganz große Nominierung einheimsen darf. Zuvor arbeiteten die zwei Talente an McDonaghs Kinodebüt „The Guard – Ein Ire sieht schwarz“ (2011) zusammen. Der Ton damals war salopp, schwarz und schräg. Bei „Am Sonntag bist du tot“ eignet sich der Originaltitel viel besser und sinnvoller, denn in der Stadt Jerusalem nannten die Menschen den Ort der Gekreuzigten „Kalvarienberg“, wo auch Jesus sein Leben für die Sünden der Menschheit hergab. Außerdem beginnt der Film schon mit einer Todesbotschaft auf dem Beichtstuhl und dadurch verliert der Titel auch gleich seine schnoddrige (deutsche) Botschaft, da er so hierzulande als schwarze Komödie beworben wird. Dem Autoren- und Regietalent McDonagh gelingt es, sich dem brisanten und widerlichen Thema des Missbrauchs höchst angemessen zu nähern und dabei zwingende Fragen nach Schuld, Vergebung, Verarbeitung und Verdrängung aufzuwerfen. Sollte ein Mensch für die Sünden anderer sterben? Ein Mord an dem unschuldigen Priester scheint somit kein wahnsinniger, rachsüchtiger Akt der Selbstjustiz auf ein wahlloses Individuum zu sein, sondern eine Abstrafung der katholischen Kirche als ganzes Kollektiv.

Am Sonntag bist du tot (2014) Filmbild 3Gleichwohl mutig als auch stark, inszeniert der Regisseur den Film in seiner Heimat Irland. Irland ist eines der europäischen Länder, wo der Gang in die Kirche und der Glaube mehr als zweckmäßige Beiläufigkeit ist. Wenn Kirche noch große Autorität haben sollte, dann sollte man meinen, dass dies in einem katholischen Land wie Irland der Fall ist. Wer den nicht immer als reinen Gutmenschen handelnden Priester auf dem Kieker hat, ist im Endeffekt gar nicht so essentiell für den Film, wie die vielen Konfrontationen und das dialogische Potential mit den Leuten aus der Gemeinde. Der gesamte, sehr gute Cast zeigt eine tolle Performance, doch Dreh- und Angelpunkt sind immer wieder die Zusammenstöße mit James Lavelle. Ein verbitterter, menschenverachtender Arzt, ein blasierter selbstgerechter, schnöseliger Finanzjongleur, eine sexgeile Witwe und ihr handgreiflicher Lover bilden die bunte Mixtur an Verfall, Schimmel, Desillusion, Abkehr, Lustmaxime und Enttäuschung. Genau hier liegt der einzige Kritikpunkt des Films, dass in der Gemeinde scheinbar ausschließlich übellaunige „Arschgeigen“ ansässig sind, die dem klugen, scharfsinnigen und mildtätigen Priester das Leben schwer machen. Andererseits ist er als Vertreter (und zugleich Zielscheibe von Frust und Ärger) einer Institution unterwegs, die ohnehin nicht mehr in so einem strahlenden Licht erscheint und der Film bezieht seinen philosophischen Anspruch eben aus diesen Streitgesprächen. Zum Glück umschifft der Film den verlockenden, reißenden Strudel der blassen Religionskritik immer wieder sicher und mit ausreichend Abstand, sodass dies keineswegs populistisches Futter für fundamentale Atheisten ist, sondern ein universales, philosophisches, manchmal frech-keckes Drama über die ambivalenten Antworten auf die Frage nach Schuld und Vergebung. Priester Lavelle ist eine grundanständige, nicht fehlerfreie aber enorm starke, integre Identifikationsfigur, sodass „Am Sonntag bist du tot“ mit diesem adäquaten und punktgenauen Drehbuch voll ins Schwarze trifft und somit jedermann ansprechen kann. Über Sündhaftigkeit wird mehr geredet als über Vergebung. Wie wahr.

Trailer