3096 Tage (2013)

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3096, D 2013 • 109 Min • Regie: Sherry Hormann • Mit: Antonia Campbell-Hughes, Thure Lindhardt, Amelia Pidgeon, Dearbhla Molloy, Trine Dyrholm, Roeland Wiesnekker • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 28.02.2013 • Deutsche Website

 

Handlung

Wien, 2. März 1998. An diesem sonnigen Montagmorgen mag die zehnjährige Grundschülerin Natascha Kampusch (Amelia Pidgeon) so gar nicht gerne aus ihrem Bett. Nicht nur, dass sie noch sehr müde ist von ihren tänzerischen Darbietungen in der Stammkneipe ihres Vaters Ludwig (Roeland Wiesnekker) in der letzten Nacht. Nach einer Standpauke ihrer gestressten Mutter Brigitta (Trine Dyrholm) über die Unverantwortlichkeit von Nataschas getrennt von ihr lebenden Vaters, macht sich das geohrfeigte Mädchen auf den beschwerlichen Schulweg. Fernab fröhlich spielender Schulkameraden schleppt das dickliche Mädchen in dem von ihrer Mutter unvorteilhaft geschneiderten Kleid ihren Schulranzen zur Klasse. Als sie an einem weißen Lieferwagen mit verdunkelten Fenstern vorbeigeht, wird sie von einem Unbekannten gepackt, ohnmächtig geschlagen und unter einer Decke in dem Auto verschleppt. Als sie zu Bewusstsein kommt, findet sich Natascha in einem kargen, sechs Quadratmeter kleinen Kellerverlies wieder. Der arbeitslose Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil (Thure Lindhardt) hat sie entführt und will sie unter seinem Haus in einer bürgerlichen Wohnsiedlung gefangen halten. Während Nataschas Eltern, die Polizei und die Medien über ihr Verschwinden rätseln, beginnt für das trotzige, willensstarke Mädchen eine Leidensgeschichte – über 3096 Tage…

Kritik

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Thure Lindhardt und Amelia Pidgeon in "3096 Tage" (2013)Dass 3096 Tage (oder kurz 3096 für den internationalen Markt), der fast auf den Tag genau 15 Jahre nach der Entführung Natascha Kampuschs in die hiesigen Kinos kommt, ganz ohne eine Einblendung auskommt, die darauf verweist, dass es sich bei der Handlung des Films um eine wahre Begebenheit handelt, spricht Bände über das breite Vorwissen und die ambivalente Erwartungshaltung des Publikums. Seit ihrer Flucht im August des Jahres 2006 hat die heute 25jährige Österreicherin einiges dafür getan, dass ihr Schicksal immer und immer wieder, samt der Preisgabe neuer Facetten über ihre sonderbare, immerhin achteinhalb Jahre währenden Beziehung zu Wolfgang Priklopil, erzählt wurde. Angefangen mit ihrem ersten langen Brief an die Weltöffentlichkeit am Tag nach der Flucht und dem ersten Fernsehinterview zwei Wochen danach bis hin zu ihrer 2010 veröffentlichten Autobiografie „3096 Tage“ und zahlreichen Auftritten in Talkshows und TV-Dokumentationen, hat Kampusch immer mehr neugierige Menschen an ihren Erlebnissen teilhaben lassen. Ihre Omnipräsenz gerade in den österreichischen Medien hat sie zu einer Persona non grata in ihrem Heimatland gemacht, deren Ruf sie so nur wiederholt schade. Ihr Opferdiskurs wird zunehmend angezweifelt und die Frage gestellt, ob es noch Traumaverarbeitung oder schon Darstellungssucht sei?

In diesem Kontext kann die erste von Kampusch genehmigte Spielfilmfassung ihrer Geschichte nur noch mehr Öl ins Feuer gießen. Basierend auf persönlichen Unterhaltungen mit der reservierten jungen Frau und eigener Recherche, machte sich 2010 Deutschlands Star-Produzent Bernd Eichinger daran, den heiklen Stoff fürs Kino aufzubereiten. Dem Mann, der als Autor und Produzent der international gefeierten Großproduktion Der Untergang (2004) bereits Debatten im Feuilleton um den arroganten Authentizitätsanspruch aufwendiger Historienfilme auslöste, schwebte ein klaustrophobisches, kammerspielartiges Zwei-Personen-Psychodrama vor – fernab des Medienechos und der Ermittlungsbemühungen während und nach dem Fall. Wie beim Untergang, der vornehmlich auf den Erinnerungen von Hitlers Sekretärin beruhte, sollte auch hier der subjektive Bericht in der Ich-Form einer Zeitzeugin als Grundlage für eine objektive wie einfühlsame Darstellung der Geschehnisse und die psychologisch plausible Erklärung der Figuren dienen. Als Eichinger Januar 2011 an einem Herzinfarkt verstarb, nahm seine Wahlregisseurin Sherry Hormann zusammen mit der renommierten Drehbuchautorin Ruth Thoma (Same Same But Different, 2009) das Projekt einige Monate später wieder auf und liefert ein eindringliches, unangenehmes Coming-of-Age-Drama.

Antonia Campbell-Hughes und Thure Lindhardt in "3096 Tage" (2013)Bekannt für ihre albernen Beziehungskomödien aus den 90ern (Irren ist männlich, 1996, Widows, 1998), empfahl sich Sherry Hormann jüngst mit Wüstenblume (2009) nach der Autobiografie des somalischen Models Waris Dirie als feinfühlige Chronistin schockierender Frauenschicksale unter patriarchaler Willkür. Basierend auf dem unvollendeten Drehbuch Bernd Eichingers, das Thoma mit Zuhilfenahme von Nataschas gleichnamiger Autobiografie „3096 Tage“, dem 2007 erschienenen Buch „Verzweifelte Jahre“ von Kampuschs Mutter Brigitta Simy über ihre Zeit der Trauer während der Entführung, und Polizeiberichten aus der Zeit fertigstellte, drehte Hormann nun ein handwerklich makelloses, spannend erzähltes und kraftvoll gespieltes Frauendrama, das sich leider nicht fernab seiner mannigfaltigen Metadiskurse denken lässt. Die titelgebenden 3096 Tage sind dabei zugleich die Dauer der Tortur, die Kampusch erleiden musste, als auch die vom Film in Form von Einblendungen zur Orientierung des Zuschauers verwendete Zeitkoordinate, die sich über 109 angespannte Minuten spannt, aber wie gefühlte drei Stunden wirkt. Der atmosphärisch dichte und in einer ungeheuren, schnörkellosen Intensität inszenierte Film changiert dabei zwischen Gefängnisfilm, Torture Porn und einer faszinierend abwegigen sadomasochistischen Love-Story.

Entgegen anderer Filme, deren Sujet von Natascha Kampuschs Fall indirekt inspiriert wurden und die in ihrer Umsetzung zu kühler Distanz und erhöhter Arthouse-Abstraktion tendieren (wie etwa Markus Schleinzers Michael, 2011), setzt Hormanns antimelodramatisch nüchterner Film auf die sachliche, ungeschönte, jedoch dezidiert nicht-voyeuristische Darstellung der Ereignisse aus der Perspektive seiner Protagonistin. Mit einem minimalen Einsatz von erklärender Musik, vielen lauten und bedrohlichen, mal realen, mal vom Opfer imaginierten Klängen auf der Tonspur, und einer beklemmenden, trügerisch biederen Bildsprache bringt die Filmemacherin den Zuschauern Kampuschs physische wie psychische Grenzerfahrungen näher. Eine Erfahrung, über die das Opfer in seinen bisherigen Berichten aber stets geschwiegen hat, ist die sexuelle Nötigung durch seinen Peiniger. Seinem großen Authentizitätsanspruch gerecht, scheut der Film auch hiervor nicht zurück, strauchelt aber darüber hinaus, aufgrund seiner unbedingten Objektivität und einer daher nicht vorhandenen erhellenden Perspektivierung der Tatsachen, eine Daseinsberechtigung für sich zu formulieren. Ob man nun den Film als bizarre Variation des Pygmalion-Motivs, als heroisches Überlebensdrama, oder als plumpes cautionary tale verstehen mag, hinterher ist man eigentlich nicht weiser als vorher.

Thure Lindhardt und Antonia Campbell-Hughes in "3096 Tage" (2013)So erweist sich 3096 Tage als ein äußerst zwiespältiges, gleichermaßen eindrucksvolles und aufwühlendes, wie ärgerliches und unbefriedigendes Kino-Highlight für den deutschen Film im noch jungen Kinojahr 2013. Eine sehr gute Besetzung internationaler Schauspieltalente, einschließlich der bemerkenswerten Kinodebütantin Amelia Pidgeon als junge Natascha, ein von seiner Ehefrau Sherry Hormann aus dem Vorruhestand gelockter Michael Ballhaus, dessen letzter elektrisierender Kameradienst für Martin Scorseses The Departed (2006) war, und eine sehr behutsam und gefühlvoll vorgehende Drehbuchautorin und Regisseurin arbeiten sich an einem Material ab, über das nicht wenige einen Mantel des Schweigens legen würden, weil es unfassbar oder auch bereits zu multimedial breitgetreten erscheint. Bleibt abzuwarten, in welch anderer Form diese grausige, noch mysteriöse Geschichte wiederkehren wird, denn das letzte Wort über Natascha Kampuschs Leben in Gefangenschaft vermag auch der Film nicht zu sprechen oder sprechen zu wollen.

 von Asokan Nirmalarajah

Trailer

https://youtu.be/9iQV1MqOYcs

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